Der Graf von Transsilvanien

Eine zufällige Begegnung

von

Erst war ich nicht begeistert, als ich im Krankenhaus meine Bettnachbarin, eine hinfällige Greisin, sah, aber bald erkannte ich, welch unwahrscheinliches Glück ich mit ihr hatte. Schon am ersten Abend erzählte sie von ihrer Kindheit und Jugend in Rumänien. Je länger sie erzählte, desto mehr wurde ich für sie ein unsichtbarer, geduldiger Zuhörer, dem man ohne Vorbehalte alles erzählen und anvertrauen konnte.
Annalena, so hieß sie, erzählte, dass ihre Familie deutschstämmig sei und seit Generationen in Siebenbürgen lebte. Sie bewohnten eines der bescheidenen Häuschen, welches sich die Donauschwaben, wie sie genannt wurden, gebaut hatten. Im zweiten Weltkrieg kämpfte der Vater im Untergrund gegen die Deutschen. Als die Mutter stirbt, wird Annalena und ihr Bruder von Nachbarn aufgenommen. Nach dem Krieg kehrt der Vater von einem Arbeitslager zurück und bringt seine Kinder in ein einsames Bergdorf, in das Haus seiner neuen Frau und deren Familie.
Die Kinder werden gut aufgenommen, nur die Großmutter, die den Haushalt versorgt, hasst vor allem Annalena. Sie attackiert sie mit Schlägen und Worten, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet.
Seit der Dorflehrer mit seinen Schulkindern den Hügel zur Burg hinauf gewandert ist und vom letzten Nachkommen der Lehnsgrafen, Vladimier Draculea, der in der Burg lebt, erzählt hat, ist es Annalenas größter Wunsch, den geheimnisvollen Grafen von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Es gelingt ihr, ihn, auf einem Baum hockend, aufzulauern. Sie ist verzaubert von dem jungen Grafen, aber auch bitter enttäuscht, denn er ist bei weitem nicht so einsam, wie man sich erzählt, und wartet keineswegs auf jemanden wie sie.
Als Annalena annehmen muss, den Tod der bösartigen Großmutter verschuldet zu haben, wird sie in ein Kloster geschickt. Dort wird sie zur Krankenschwester ausgebildet.
Jahre später, Annalena ist inzwischen diplomierte Krankenschwester, wird ein Suizidgefährdeter Patient mit schweren Vergiftungserscheinungen in das Krankenhaus eingeliefert. Es ist der junge Graf Vladimier Draculea. Annalena ist glücklich, als ihr die Pflege des besonderen Patienten anvertraut wird, aber bald schon wird sie durch ihn in einen schweren Gewissenskonflikt gestürzt.
Nachdem sich nämlich zwischen ihr und ihrem Patienten ein Vertrauensverhältnis entwickelt hat, bittet sie der Graf um einen besonderen Freundschaftsdienst. Annalena soll ihm helfen zu sterben. Erst als er ihr die Geschichte seiner Ahnen erzählt hatte, ist sie dazu bereit.