Der Hitler-Barde Hans Baumann und sein Wirken vor 1945

Ein katholisches Janusgesicht

von

Hans Baumann (1914-1988), bekannt als namhafter Autor vieler Kinder- und Jugendbücher sowie sehr zahlreicher Lieder, machte vor und nach 1945 eine bemerkenswerte Karriere. Noch heute gilt er vielen als begabter Schöpfer volkstümlicher Lieder im Geist der Jugendbewegung, die vor 1933 blühte.- Gewiß, einige NS-ideologische Lieder wie „Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem roten Krieg“ oder „Nur der Freiheit gehört unser Leben“ sang man hernach nicht mehr, hielt aber solche von ihm vor 1945 geschaffenen Lieder zumeist großzügig der politischen Verirrung eines unerfahrenen jungen Menschen zugute.- Sogar die ersten Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland mochten nicht auf seine griffigen Poeme verzichten. So bietet das „Liederbuch der Bundeswehr“ von 1963 vier Baumann-Lieder. Darunter das sehr bekannte „Und die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit“ – allerdings unter Weglassung der arg aggressiv-imperialistischen 4. Strophe.- Daß Baumann bald nach 1945 seine überaus erfolgreiche Karriere fortsetzen konnte, hatte entscheidend damit zu tun, daß fast alle NS-Texte, soweit sie überhaupt die Kriegswirren und –zerstörungen überdauerten, in den Bibliotheken und Archiven aus dem Verkehr gezogen und sekretiert wurden. Bis heute ist manches auch für Wissenschaftler nur schwer zugänglich beziehungsweise – teils aus konservatorischen Gründen oder wegen des Datenschutzes – als „nicht verleihbar, nicht kopierbar“ klassifiziert.- Erst lange nach 1945 begannen Versuche, Baumanns Texte und Lieder kritisch zu untersuchen, wobei freilich weite Bereiche seinerm ausgedehnten Aktivitäten unbekannt blieben.- So war ein neuer energischer Anlauf sinnvoll, das Wirken dieses Poeten vor 1945 zu ermitteln, zu erschließen und zu untersuchen; denn die Bemühungen der Geschichtswissenschaft lassen nicht nach, zu verstehen, wie Hitler in Deutschland möglich wurde und wie die Verbrechensgeschichte des Dritten Reiches volle zwölf Jahre währen konnte.
Hier setzt der Autor mit seinem Versuch ein, die begleitende und unterstützende Wirkung der NS-Ideologie am Beispiel eines ihrer führenden Vertreter ins Auge zu fassen. Viele neue, hier erstmals vorgestellte ideologiegesättigte Texte und Lieder Baumanns erweisen ihn als hochrangigen NS-Propagandisten: Einerseits entwirft er Feindbilder und Kampfmotivationen, vertritt einen aggressiven Ostimperialismus, propagiert, wen auch etwas verhalten, einen rassereinen europäischen Großraum vom Atlantik bis zum Ural und rühmt immerzu den „Führer“ Hitler; andererseits zeigt er auch mitunter gewissermaßen ein katholisches Gesicht, wenn er nämlich für den Umgang mit Gegnern und Besiegten Milde und sogar Liebe empfiehlt. Auch meidet er, ganz feinsinniger Poet, den kruden Rassismus und Antisemitismus eines Julius Streicher.- Das Buch ermöglicht einen tiefen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt eines hochrangigen NS-Ideologen und wirkmächtigen Propagandisten der Politik Hitlers. Eine Fülle von heute kaum noch bekannten Quellentexten wird ausgebreitet und der Diskussion verfügbar gemacht.
Der Autor setzt hier seine früheren Bemühungen fort, die Kausalitäten der Verbrechensgeschichte des Dritten Reiches historisierend zu erhellen: Erziehung, Lebenswelt und Kriegseinsatz der deutschen Jugend unter Hitler (Münster 2001); Ideologie und Alltag im Dritten Reich (Frankfurt 2003); Hitler. Motive und Methoden einer unwahrscheinlichen
Karriere (Frankfurt 2006).