Der köstliche Leichnam

Roman

von

Cadavre exquis (köstlicher Leichnam) wurde zur Bezeichnung für ein kreatives Spiel, von dem André Breton, der Vater der französischen Surrealisten, behauptet, es sei ein unfehlbares Werkzeug, das kritische Denken auszuschalten und der metamorphischen Fähigkeit des Geistes freie Bahn zu verschaffen.
Auch im Roman von Eduardo Labarca kommt ein cadavre exquis – ‚Cadáver tuerto‘ auf Spanisch – vor, allerdings – wie so manches in diesem Roman – anders als man es bislang kennt. Als Lautraro, der Protagonist, nach einer fünfundzwanzigjährigen Odyssee aus dem Exil wieder nach DORT (das Chile von heute) zurückkehrt, wird er für einen fernsehmäßig aufgeblasenen cadavre exquis als Schauspieler für die Rolle des Tyrannen engagiert. Der Tyrann, der auch die Figur des Generals ist, ist mit dem etwas amorphen Protagonisten Lautraro, der von sich selbst ‚meine Schwäche ist meine Stärke‘ sagt, mehr als ein halbes Leben lang symbiotisch verstrickt.
In Wirklichkeit ist der tyrannische General kein geringerer als General Augusto Pinochet. Er und sein 1973 mit Hilfe der USA vorbereiteter Militärputsch gegen den demokratisch gewählten Staatspräsidenten Salvador Allende bilden die Rahmenhandlung für Labarcas Roman.
‚Dieses Mal wollte ich, und eigentlich wollte ich das immer, den schwierigsten Themen bis auf den Grund gehen …‘ hat Eduardo Labarca in einem Interview gesagt. Und genau das hat er getan: mit einer beinahe skurrilen Offenherzigkeit und einer spielerischen Freude am Fabulieren, die südamerikanische Schriftsteller auszeichnet.
Der köstliche Leichnam ist sprachlich und in der Erzählstruktur ein höchst moderner Roman der überraschende Botschaften ans Licht bringt …
Der Roman wurde ausgezeichnet, ‚weil sie [die Jury] darin einen literarischen Zugang von großer Einzigartigkeit erkennt, sich der kollektiven Erinnerung der letzten dreißig Jahre in unserem Land anzunähern. Aufgrund der Häufigkeit dieser Thematik in den Werken, die bei der Jury eingelangt sind, würdigen wir mit ›Cadáver tuerto‹ sowohl die Fähigkeit diese historische Zeitspanne in der Fiktion abzubilden, als auch die große Originalität der Erzählstrategien, mit der diese behandelt worden ist.‘ (Aus der Jurybegründung für den Staatspreis)