Der Schah in der Schachtel

Soziale Bildpraktiken im Zeitalter der Carte de visite

von

In den 1860er-Jahren unternahm der Thüringer Botaniker Carl Haussknecht ausgedehnte Forschungsreisen in eine ihm gänzlich fremde Welt. Sein abenteuerlicher Weg führte ihn in verschiedene Gebiete des Osmanischen Reiches, nach Persien und durch den Kaukasus. Hier erforschte der junge Wissenschaftler jedoch nicht allein die exotische Pflanzenwelt, denn mit großer Neugierde erkundete er zudem die reichen Kulturen des Vorderen Orients. Zurück nach Europa brachte Haussknecht daher nicht allein eine wertvolle Sammlung seltener Pflanzen, sondern zugleich eine kleine Schachtel voller fotografischer Visitenkarten. Nach mehr als einem Jahrhundert nimmt Matthias Gründig in seinem anschaulich geschriebenen Buch „Der Schah in der Schachtel“ Haussknechts seltene Sammlung von fast einhundert „Cartes de visite“ erstmals genau in den Blick.

Fotografischen Visitenkarten stehen im Zentrum einer besonderen Bildkultur des späten 19. Jahrhunderts: Mit ihnen wurden Bekanntschaften geknüpft, Erinnerungen bewahrt und Prominente gesammelt. Und noch immer machen sie als ein je persönliches Geschenk die weit gespannten Netze sozialen Austauschs sichtbar. Im Fall von Haussknecht reichten diese Netze bis nach Teheran und Konstantinopel, Aleppo und Tiflis. Von Bild zu Bild entfaltet sich in seiner fotografischen Sammlung eine faszinierende Geschichte kultureller Begegnungen. Ein durchgehend farbiger Katalogteil macht es möglich, sämtliche Fotografien in Originalgröße mit eigenen Augen zu erkunden. Mit dieser Sammlung formt sich, wie Matthias Gründig eindrücklich zeigt, ein bislang unbekanntes Denkbild von früher Globalisierung und Medienmoderne.