Der suizidale Patient als Herausforderung für den Arzt

Eine kritische Reflexion im Lichte der existentialistischen Philosophien von Karl Jaspers, Albert Camus und Jean Améry

von

Der praktizierende Arzt ist in seiner umfassenden ärztlichen Tätigkeit nicht selten mit suizidalen Patienten konfrontiert. Statistisch betrachtet nehmen sich in der Schweiz jährlich etwa 1000 Männer und 350 Frauen das Leben – 10 % davon sind assistierte Suizide. Vorsichtig geschätzt, versuchen sich pro Jahr mehr als 20.000 Menschen zu töten. Im Notfall kann der Arzt den Patienten auch gegen seinen Willen – im Sinne eines fürsorglichen Freiheitsentzuges – auf einer psychiatrischen Klinik hospitalisieren. Ungleich komplexer ist die Situation bei einem latent suizidalen Patienten.
Für das Individuum ist mit dem Thema Suizid untrennbar das Thema Leben verschränkt, mit all seinen weitreichenden Implikationen. Bekanntlich ist der Mensch das einzige Tier, das sein Leben bewusst beenden kann. Mit diesem Schritt fällt er einen moralischen Entscheid, mag dieser in seiner komplexen Konsequenz noch so umstritten sein. Inwieweit kann die philosophische Reflexion des Arztes und der sich möglicherweise daraus ergebende Diskurs mit seinem Patienten dazu beitragen, einen Suizid abzuwenden? Einleitend wird auf den aktuellen Stellenwert des Suizides in unserer modernen Gesellschaft hingewiesen, seine philosophische Bedeutung und moralische Wertung aus historischer Perspektive beleuchtet und vertieft auf die Suizidtheorien von Karl Jaspers, Albert Camus und Jean Améry eingegangen. Im Sinne eines vorsichtigen und vorläufigen Bilanzversuches werden die daraus gewonnen Erkenntnisse nach ihrem konstruktiven Potential und ihrer Praxistauglichkeit im Versuch einen Suizid abzuwenden aus ärztlicher Sicht kritisch diskutiert.