Der Zug der Erinnerung, die Deutsche Bahn und der Kampf gegen das Vergessen

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Als auf den Bahnhöfen in Frankreich und in den Niederlanden an die Massendeportationen der NS- Zeit erinnert wird, weigert sich die Deutsche Bahn AG, diesem Beispiel zu folgen: Für das Gedenken auf den ehemaligen Umschlagplätzen der Todesfahrten fehle es dem Staatsunternehmen an Geld, heißt es 2005 im Berliner Bahn-Tower.
Weil die DB die Bahnhöfe für eine Ausstellung bundesweit sperrt, greifen Bürgerinitiativen in mehreren Städten zur Selbsthilfe und setzen einen Zug auf die Schienen. Bei seinen Fahrten über 100 Stationen durchbricht er das Erinnerungsverbot, 430.000 Menschen kommen auf die Bahnhöfe und begeben sich auf Spurensuche nach den Deportierten aus ihren Städten.
Das Buch folgt dem Weg dieser Fahrten und den Ereignissen auf dem deutschen Schienennetz vor über 70 Jahren, als 3 Millionen Menschen in verschlossenen Waggons am helllichten Tag ’nach Osten‘ geschleust wurden. Für die Deportationen hatten sie Tickets lösen müssen, die den Organisatoren des Todes Profite einbrachten. Kinder zahlten die Hälfte.
Vor allem aber schildert das Buch die Hintergründe des massiven Widerstands der DB AG und der Bundesregierung, die den Zug der Erinnerung mit Gebühren belegen und ihm die Schienen sperren. Ursache dieses Boykotts ist nicht das allgemeine Gedenken, sondern die Forderung der überlebenden Deportationsopfer nach Wiederherstellung des Rechts: Sie verlangen ein Schuldeingeständnis der staatlichen NS-Erben im Bundesverkehrsministerium und die Bezahlung der Schulden. Die Bundesregierung als Eigentümerin der DB AG weigert sich.
Hans-Rüdiger Minow beschreibt diesen Konflikt, der den Kern der staatlichen Erinnerungspolitik freilegt: Die Bundesrepublik spricht von ‚Verantwortung‘, aber meint konsequenzloses Gedenken, das sie in halbstaatlichen Vorfeldorganisationen und gemeinsam mit den NS-Erben aus führenden deutschen Großunternehmen in Szene setzt. Dabei wird die deutsche Vergangenheit instrumentalisiert, um aktuelle Interessen der deutschen Außenpolitik vor allem in Osteuropa zu befördern. Dem Autor standen die internen Dokumente des anhaltenden Konflikts zwischen Staat und Zivilgesellschaft ohne Einschränkung zur Verfügung. In seiner packenden Erzählung gelingen erstaunliche Einblicke in das politische Management der deutschen Erinnerungsabwehr. Für die zahlreichen privaten Gedenkinitiativen in der Bundesrepublik und für alle politisch Interessierten kann dieses Buch ein aktueller Wegweiser durch den Dschungel der deutschen ‚Erinnerungskultur‘ sein.