deutscher lyrik verlag

Lyrische Texte. Mit 17 Fotografien von Guido Schärli und einer Coverzeichnung von Doris Gnos-Nussbaumer

von

Das Tagebuch meiner Liebe ist dem Leben entnommen.
Entstanden aus der Ohnmacht, die richtige Entscheidung zu treffen, wenn diese zwei sich liebende Menschen örtlich und zeitlich auseinanderreißen kann.
Meine Freundin und ich kannten uns knapp ein Jahr. Wir waren unsterblich verliebt und hatten uns die Ewigkeit versprochen.
Die Reise mit meinem besten Freund nach Australien war schon seit Jahren geplant. Es kam für mich und meine Freundin nicht in Frage, dass ich diese Reise fallen lassen würde, denn irgendwann würde diese Entscheidung zwischen uns stehen.
Etliche Freunde aus unserem Umfeld haben uns erzählt, wie schwierig es sei, eine Beziehung über eine so lange Distanz und Zeit aufrecht zu halten. Früher oder später wird diese Zeit eine Keil zwischen euch treiben, hat man mir gesagt.
Je mehr ich darüber nachdachte, desto unsicherer wurden meine Gefühle. Darum entschloss ich mich, die Beziehung zu meiner Freundin, auch wenn ich nicht bei ihr sein konnte, intensiv weiterzuführen.
Ich versprach ihr, jeden Tag ein Gedicht zu schreiben, welches meine Gefühle, die ich für sie empfinde, festhalten sollte.
So entstand ein Tagebuch – Das Tagebuch meiner Liebe.
Jeden Abend, bevor ich zu Bett ging, holte ich den vergangenen Tag nah an mich heran. Ich vertiefte mich in die gelebten Gefühle für meine Freundin, welche mich durch den Tag begleitet hatten. Hin und her gerissen von Trauer, Leidenschaft und Hoffnung versuchte ich, das festzuhalten, was mich zu leben antrieb.
Dabei entstand eine sehr tiefe Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit und der Fähigkeit, sich einem anderen Menschen so zu öffnen, dass man dabei sich selbst entdeckt.
Die Gefühle, welche ich durchlebte, trieben mich immer wieder an die Basis der Verbindung zwischen Mann und Frau. Der Widerspruch zwischen der harten männlichen Oberfläche und der verletzlichen tief gründenden Schutzlosigkeit war für mich eine Erfahrung, die mich von Grund auf wachsen ließ.
Ich wollte mich öffnen, ich wollte erkunden, was ich unter der Oberfläche zu verbergen mochte. Ich begann auch, meine Gefühle zu hinterfragen, und versuchte, sie zu verstehen. Ich lernte wahrzunehmen, wie tragend sie sind und welches Gewicht sie für mich haben.
Das Erleben und das Erfahren in dieser Zeit war so intensiv, dass die dabei entstandenen Gefühle bis heute in den Tiefen meiner Seele behütet sind.
Als ich wieder zu Hause war und das Fortschreiten unserer Beziehung durch den Aspekt der körperlichen Berührung einen Höhenflug durchlebte, entstanden die das vorliegende Tagebuch meiner Liebe begleitenden Fotos. Während einer mehrstündigen Session versuchte ein befreundeter Photograph, im Beisein meiner Freundin, das Bewusstsein meiner Bewegungen festzuhalten.
Durch die Verbindung von Wort und Bild habe ich versucht, den Ausdruck der erlebten, tief gründenden Erfahrungen möglichst greifbar zu machen.
Es war für mich eindrücklich zu erkennen, wie gelebte, jedoch vergangene Gefühle in diesen Bildern wiedererkennbar wurden.
Meine damalige Freundin und ich, wir konnten beide durch die im Tagebuch meiner Liebe festgehaltene Zeit sehr viele prägende und bildende Momente erleben, welche mit ihrer Kraft eine emotionale Offenheit zu schaffen vermochten. Heute sind wir verheiratet und haben zwei Kinder.

Samuel Gnos