Schon in ihrem ersten Gedichtband, Cris (1953), erregte Joyce Mansour in Frankreich die Aufmerksamkeit poesiekundiger Leser, insbesondere die der Pariser Surrealisten. ‚Hier ist nichts‘, schrieb einer von ihnen, ‚was nicht aus den dunkelsten Tiefen des Seins empordringt, in denen Liebe und Tod, Angst und Verlangen, Lust und Schmerz zu einer einzigen, alles verschlingenden Wirklichkeit verschmelzen …‘ In der Tat handelt es sich bei diesen kurzen Texten um Schreie (cris), ausgestoßen von einer Frau, die von ‚blutenden Wunden, die niemals heilen‘, gequält wurde, und für die die Poesie ‚ein Mittel des Exorzismus‘, der Verarbeitung ihrer Erfahrungen mit Krankheit und Tod war.
Zugleich spielt von Beginn an die Sexualität eine zentrale Rolle in Mansours Werk, in dem eine Art urzeitlicher Geschlechterkampf tobt, der mit wildem Hass und oft barbarischer Gewalttätigkeit ausgetragen wird – die Kritiker sprachen von ‚todfarbener Erotik‘ – und der doch immer wieder mit der Erlösung vom quälenden Dualismus durch die fleischliche Lust endet. Ohne moralische Hemmungen und jedwede Selbstzensur, angetrieben von einem wahren furor poeticus, schleudert Mansour die kruden Bilder ihres Unbewussten aus sich heraus, unbekümmert darum, ob ihre Texte geschmacklos oder obszön erscheinen könnten, gleichgültig auch gegenüber den gängigen literarischen Normen – eine Dichterin, die aus den tabuisierten Zonen hinter der zivilisatorischen Fassade spricht.
- Veröffentlicht am Freitag 10. Juli 2015 von Schiler, H
- ISBN: 9783899300444
- 244 Seiten
- Genre: Belletristik, Hardcover, Lyrik, Softcover