Die fetten und die mageren Jahre

Ein Arbeits- und Lebensbericht

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Karl Schefflers Karriere ist einzigartig: Er begann als Malerlehrling in einem Hamburger Handwerksbetrieb und arbeitete sich zum Musterzeichner in einer Berliner Tapetenfabrik hoch. In seiner Freizeit schrieb er Kunstkritiken, die in Meier-Graefes Zeitschrift ‚Dekorative Kunst‘ und in Hardens ‚Zukunft‘ erschienen. Die Texte bestachen gleichermaßen durch intellektuellen Scharfsinn wie durch historischen Kenntnisreichtum, so daß Scheffler 1905 zum Herausgeber der Zeitschrift ‚Kunst und Künstler‘ berufen wurde. Diese Funktion hatte er bis 1933 inne und schuf in diesen knapp drei Jahrzehnten ein Forum der Kunstbetrachtung, dessen thematische Vielfalt und inhaltliche Qualität bis heute unerreicht sind und der modernen Kunst in Deutschland zum Durchbruch verhalfen.

In seinen Erinnerungen, die die Jugendjahre ausklammern, schildert Scheffler seinen Werdegang im Kontext der gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklungen zwischen Kaiserreich, Weimarer Republik und Nationalsozialismus. Das überaus lebendig geschriebene Buch, das hier seit 1948 erstmals wieder vorgelegt wird, enthält eine Fülle persönlicher Erinnerungen an die Gegebenheiten und prägenden Gestalten des Kunstlebens zwischen der Jahrhundertwende und 1933. Ausführliche Porträts gelten den Exponenten der Berliner Sezession: Liebermann, Corinth, Slevogt, Barlach u.a. sowie Bruno und Paul Cassirer als den verlegerischen und organisatorischen Protagonisten der neuen Kunst.

Obwohl Karl Scheffler eine zentrale – und vielumworbene – Instanz der Kunstkritik vor 1933 war, hielt er strikt auf Distanz und bewahrte sich eine intellektuelle Unabhängigkeit. Seiner Herkunft stets eingedenk, blieb er skeptisch gegenüber allen Modeströmungen des Betriebs. Die Gefahr einer Beliebigkeit des immer Neuen erkannte er früh und versuchte ihr durch unnachsichtige Reflexion und Selbstprüfung zu begegnen. Die Strenge seines Nachdenkens und kritischen Engagements mag gerade heute unzeitgemäß erscheinen – und ist es eben deshalb nicht.