Die letzten Sonnenstrahlen tauchen den großen Stein auf Margarethen in helles Gold und lassen die harten Gräser rundum metallisch gelb leuchten. Auch die beiden Kinder die vor dem Stein auf der Erde knien, scheinen Goldklumpen zu sein. „Guuldkleezker, menj klinzich Guuldkleezker“, verwöhne ich sie in meinen Gedanken. So hat man uns seinerzeit auch verwöhnt. Manchmal. Ganz selten.
Die Kinder bewegen sich, langsam, im Zeitlupentempo. Das Mädchen hält scheinbar etwas Zerbrechliches in Ihren Händen. Sachte, ganz sachte, trippelt sie über den Gehweg und kommt auf mich zu. Der Junge braust mir wie ein Sturmwind entgegen.
„Oma, wir haben sie. Das ist sie doch, deine Gottesanbeterin! Eine ganz große, mit riesigen Fangbeinen!“
Das Mädchen streckt sie mir entgeggen. Sie sitzt auf einem Kürbisblatt, ruhig, groß und braun. An den angewinkelten Fangbeinen erkennt man sie sofort und an ihrem scheinheiligen Geschau. Dass sie aber so groß sein kann und braun, lässt staunen.
Sie bewegt sich, sie setzt zum Sprung an. Instinktiv streckt das Kind die Hände aus. Und weg ist sie!
„War deine Gottesanbeterin auch so groß Oma?“, will der Junge wissen.
„Erzähl uns die Geschichte mit der Gottesanbeterin“, bittet das Mädchen.
„Ja, erzähl Oma“, drängt auch der Junge.
Sie ist lang, meine Geschichte. Sehr lang und manchmal traurig.
- Veröffentlicht am Freitag 14. März 2014 von Kastner
- ISBN: 9783941951983
- 158 Seiten
- Genre: Belletristik, Erzählende Literatur