Die Logik der Schatten

Aphorismen und Anekdoten

von

Alfred Paul Schmidts Aphorismen – unter dem tiefstapelnd-ironischen Titel „Zur Lage“ zwischen 1989 und 2008 wöchentlich erschienen in der Kleinen Zeitung, sind nicht nur eine gewaltige, beeindruckend kontinuierliche Leistung der philosophischen Einbildung und des skurrilen Erfindungsreichtums; in vieler Hinsicht erfinden sie die Form neu und sind bis heute in ihrer geistig-intellektuellen Anregungs- und Suggestivkraft unübertroffen. Wo herkömmliche Aphorismen sich in der Regel auf die Struktur des Witzes zurückführen lassen, indem sie aperçuhaft paradoxe Pointen entwickeln, die, einmal begriffen, sich in der Erkenntnis eines Augenblicks entladen, zugleich aber erschöpfen, sind Schmidts Geistesjuwelen – er selbst nennt sie „Klärsätze“ und „paradoxe Sentenzen“– weit vielschichtiger und unausschöpfbarer, viel näher den Weisheiten der Geschichten um Hodscha Nasreddin oder der ostasiatischen Koane, die uns etwa auffordern, das Klatschen einer Hand meditativ zu imaginieren. Jeder dieser Sätze, die einem Möbiusband mehr ähneln als einer linear oder selbst auch paradox auflösbaren, wiewohl pointierten Aussage, lässt sich in vielfältiger Weise hin- und herwenden, von innen nach außen kehren usw., und jede derartige Bewegung von Geist und Sinn eröffnet neue Rezeptions- und Auslegungshorizonte. Insofern bieten sie dem Geist der geneigten Leser und Leserinnen eine Spielwiese mit unendlichem Horizont und unstillbare Impulse zur Weiter- und Wiederbeschäftigung – z. B. in folgender gedanklichen ‚Kopfnuss‘: „Wie der Spiegel das Gesicht des Betrachters zurückwirft, gibt sich das Leben nicht selbst zu erkennen, sondern nur den Blick, der es zu ergründen sucht.“ Schmidts Aphorismen offenbaren aber auch, quasi in der Reinkultur der Reduktion aufs Wesentliche, einen bedeutenden Urquell seines fiktionalen Schreibstils, von den Anfängen über den Stockinger bis zu den neuesten Romanen und Erzählungen.

Mit einem Nachwort von Reinhard Urbach.