Die Seele eines Hundes

von

Wenn ich die Begebenheiten dieser Erzählung überdenke, erscheinen sie mir, trotz ihrer Einfachheit, ungeheuerlich. Was sie anderen Menschen bedeuten, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur Eines: als ich einem Freund, der berufen ist, sie richtig zu werten, die volle Wahrheit über meine inneren Gesichte – wie ich sie nennen will – mitteilte, dachte dieser einen Augenblick darüber nach uns sprach:

„Ich verstehe, dass es dir widerstrebt, deine Erlebnisse der Öffentlichkeit preiszugeben, doch wenn du bedenkst, wie wir, bebend vor Wissbegierde, an den Grenzen des Unbekannten stehen und alle unbewussten Fähigkeiten im Menschen zu erforschen trachten, bin ich der Meinung, jedes derartige Erlebnis eines glaubwürdigen Zeugen sollte zur allgemeinen Kenntnis gebracht werden. Und dein Fall wäre ganz besonders interessant, da es sich hier um Tiere handelt, denen wir im allgemeinen eine Seele absprechen. Wenn du also um meine Ansicht fragst, rate ich dir, deine Wahrnehmungen wahrheitsgetreu niederzuschreiben und sie zu veröffentlichen.“

Dieser Ausspruch bestimmte mich dazu. Vielleicht machen meine Erlebnisse auf manchen Leser einen ebenso tiefen Eindruck wie auf mich.

Ich will die Einleitung dazu kurz fassen, obwohl manches zum Verständnis des Ganzen gesagt werden muss. Zwei Personen sind an meiner Erzählung beteiligt: Meine Kusine Helen Keith und ich selbst. Sie heiratete als junges Mädchen und ihr Mann starb nach zehnjähriger, für sie tief unglücklicher Ehe. Sie hatten keine Kinder.

Ich bin unverheiratet, Arzt von Beruf und mein Name ist James Livingston. Meinen Namen brauche ich kaum zu nennen, denn obwohl die folgenden Beobachten größtenteils von mir sind, ist es doch Helens Geschichte.

Sie war im Besitz eines reizenden Hauses in der Nähe von Tetford, dessen Wiesengarten in sanfter Senkung zur Themse hinunter führte. Hier ließ sie sich nach der Befreiung von ihren traurigen Ehefesseln nieder, um ihrem verfehlten Leben noch den Schein eines Inhalts von Glück zu geben. Meine ärztliche Praxis lag in einer westlichen Dorfstadt Londons und das einzige Vergnügen, das ich mir in spärlichen Erholungsstunden gönnte, war, hinaus zu fahren und unter den großen Bäumen auf Helens Wiese zu ruhen. Dort lag ich dann träumend und beobachtete die ewig gleichmäßig dahinrauschenden Wellen des Stromes oder plauderte bis Sonnenuntergang mit Helen in glücklichster Harmonie vollkommenen Verstehens. Es gab Leute, die meinten, eine Heirat zwischen Helen und mir wäre das Nächstliegende. Sie zählte nach dem Tod ihres Mannes erst dreißig Jahre während ich achtunddreißig war. Doch ich glaube zu wissen, dass ein solcher Gedanke ihr niemals in den Sinn kam und auch ich dachte damals nicht ans heiraten. Eine innige Freundschaft, wie sie wohl selten zwischen Mann und Frau zu finden ist, verband uns, und nur die Verwandtschaft hinderte eine Annäherung. Auch wäre Helen mit ihren unglücklichen Erinnerungen vor dem Gedanken an einen neuen Bund entsetzt zurückgeschreckt. Der freie Vogel hatte kein Verlangen nach einem Käfig und, was mich betrifft, war ich damals mit Leib und Seele in meinen Beruf vertieft. Ich hatte durch eine medizinische Arbeit in Fachkreisen einige Beachtung gefunden und meine Monographie erregte sogar Aufsehen. Helens Leben aber interessierte mich trotzdem ungemein. Sie war im Kampf mit demselben so tief verwundet und niedergedrückt worden, dass ich oft daran zweifelte, ob sie jemals den Mut zum Weiterleben wiederfinden würde. Es schien, als ob sie irgendwo am Wegrand liegen geblieben wäre und die Welt an ihr vorüber ginge.