Inventar der Erinnerungen
„Mors
„Wolkenvorhang“
Stets hat dieser Ausdruck, der im Geist einen ins Unendliche sich ausdehnenden Bühnenraum heraufbeschwört, starken Anklang bei mir gefunden, wenn ich ihn im Libretto, wo er die Zäsur zwischen zwei Akten bildete, eines Werkes von Wagner oder jedes anderen Komponisten las, der wie Nietzsches berühmter Freund die Oper in den Dienst der Mythologie zu stellen sucht. Wenn ich – vielleicht schon mehr als ich dachte – eine Schrift wieder aufnehme, die ich (sagen wir pauschal, um nicht schon wieder in die alte Leier zu fallen, aus pessimistischen Gründen) auf unbestimmte Zeit ruhen lassen wollte, so schwebt mir dieser „Wolkenvorhang“ vor, ein vor den Augen aufgespanntes Wolkengebilde, das die Unterbrechung des Zeitstroms auf doppelte Weise bezeichnen soll: zunächst der Vorhang selbst, aus bemaltem Tuch oder fast durchsichtigen Gazestoffen, sich überlappend wie die Rüschen eines Tüllrocks; dann als vages Bild, das Chaos suggerierend, die Verneinung der zeitlichen und räumlichen Welt, in der unsere Koordinaten den Ton angeben.“
- Veröffentlicht am Sonntag 1. September 1985 von Matthes & Seitz Berlin
- ISBN: 9783882211030
- 360 Seiten
- Genre: Belletristik, Erzählende Literatur