1650, der Dreißigjährige Krieg ist gerade zu Ende, aber noch nicht beschlossene Sache. Der Friede soll erst am 26. Juni in Nürnberg vollstreckt werden. Im Mai des gleichen Jahres jedoch, geschehen merkwürdige Dinge im beschaulichen Vyrssen. Als hätten die Bewohner nicht schon genug unter den entsetzlichen Folgen von Hunger, Krankheiten und Überfällen zu leiden, nisten sich zudem eigenartige Fremde im Gasthof Zum goldenen Rahbarber ein. Nur durch Zufall stößt die Triglaw auf diese Gefahr und beginnt mißtrauisch zu werden. Mit Recht, denn wie sich bald herausstellt, nehmen die Ereignisse immer größere und gefährlichere Ausmaße an: Die Vergangenheit ist wieder zurückgekehrt. Letztendlich ist sogar der Westfälische Friede in Gefahr.
Der Nachtwächter Adam tho Everhartz, der Schmied Theiß ten Dahl und der Magister Johannes Nethox, genannt die Triglaw, müssen wieder aktiv werden.
DIE TÄTOWIERTE SEELE
Der Tanz auf der Nadel,
der Tanz auf dem Dorn.
Stets kommt der Wandel,
so werden wir gebor`n.
1.DER FREMDE
„Hast du Lust mit zum Goldenen Rahbarber zu kommen?!“, rief Adam tho Everhartz schon von weitem, als er sich der Schmiede näherte. Als Nachtwächter von Vyrssen war er in den frühen Morgenstunden von seinem Rundgang nach Hause gekommen und hatte sich für ein paar Stunden auf`s Ohr gelegt, wie er immer zu sagen pflegte. Jetzt war er ausgeruht und es drängte ihn, seinem Freund Theiß ten Dahl einen Besuch abzustatten, um mit ihm zu ihrem Lieblingsgasthof zu gehen. Theiß saß mit verschränkten Armen vor seiner Haustür und hatte die Augen geschlossen. Er machte gerade eine Mittagspause und faulenzte in der warmen Sonne des Winnemond (heute Mai), während der Lehrbursche noch in der Werkstatt den Blasebalg betätigen mußte, um die Glut in Gang zu halten.
Natürlich hatte er den Nachtwächter gehört, aber er machte sich einen Spaß daraus, seinen Freund auf eine Reaktion warten zu lassen. Deshalb, weil er wußte, das Adam es nicht mochte. Und der Wutausbruch seines Freundes kam prompt, was ihm ein zufriedenes Lächeln auf das vernarbte Gesicht zauberte.
„ He! Hast du mich nicht gehört?! Theiß! Thaaeiß! Verdammt noch mal! Nimm gefälligst deine verrosteten Eisenspäne aus den Ohren! He! Bist du taub?!“
Adam blieb ein oder zwei Schritte in respektvollen Abstand vom Schmied entfernt stehen und blickte zornig auf ihn herab. Mit hochrotem Gesicht, die Hände in die Hüften gestemmt, wippte er unruhig auf seinen Füßen auf und ab. Er sah, dass sein Freund nicht am Schlafen war, denn sein Bauch bewegte sich dafür zu schnell auf und ab. Leicht gereizt, und mit zur Seite geneigtem Kopf, ließ er so einige Sekunden verstreichen. Aber noch immer wartete er vergeblich auf eine Reaktion. Da erkannte er das flüchtige und verräterische Lächeln im Gesicht seines Freundes, und das steigerte seine Wut:
„Du gottverdammtes Arsch! Mach endlich deine Kuhaugen auf! Glaub ja nicht, dass ich dein Spiel nicht schon lange durchschaut hab! Ich laß mich nicht mehr von dir auf den Arm nehmen! Ich nicht! Und dir zu Liebe und meiner Gesundheit wegen, werde ich mich nicht mehr über deine bescheuerten Späße aufregen! Das ist schon lange aus und vorbei! Hast du gehört?!“ Adam hielt kurze Zeit inne, schlug seine Augenklappe hoch und beugte sich verunsichert vor, um Theiß näher betrachten zu können. Etwas außer Atem und nun doch deutlich versöhnlicher, sprach er in gemäßigter Lautstärke:
„ Außerdem hab` ich solch einen Brand, dass kannst du dir gar nicht vorstellen. Frieda schenkt heute auch aus. Du weißt doch, die mit den großen Brüsten. Kommst du jetzt mit oder nicht?“ Aber als einzige Reaktion wurde das breite Grinsen seines Freundes nur noch breiter und die Lachfalten zahlreicher. Adam sah das und fuhr verärgert hoch. Schon lange hatte er diese Spiele satt. Es entstand eine kurze Pause, denn er kam auf den Gedanken Theiß von
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seinem Hocker zu stoßen. Der Nachtwächter haderte, unterließ es dann aber doch, weil er zu große Angst vor seinen Wutanfällen hatte. Schließlich gab er sich mit einem tiefen und hilflosen Seufzer geschlagen:
„ Also gut! Ich bezahl heute!“ Adam sah zerknirscht drein, auch dann noch, als Theiß endlich seine Augen öffnete. Der Schmied lächelte zufrieden:
„Na geht doch!“ Noch etwas genervt ließ Adam seine Augenklappe zurückschnellen; was ein
untrügerisches Zeichen dafür war, dass seine Geduld die Grenze des Möglichen erreicht hatte. „ Nur noch dieses eine Mal, dann bist du wieder dran! Sonst werde ich dir nicht mehr helfen, wenn abends wieder Holland in Not ist!“ Theiß schaute verwundert auf:
„ Soso. Das ist ja interessant. Seit wann brauchte ich denn mal deine Hilfe?“ Adam kratzte sich verlegen am Kopf und suchte nach den passenden Worten:
„Tja, also. Also wenn du,… Ich meine wenn du das nächste…“ Aber Theiß klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter:
„Mensch, Adam! Versuche es gar nicht erst. Bei mir war noch nie Holland in Not!“
„Na, man weiß doch nie. Irgendwann könnte es dich auch mal treffen! Es hat schon… “
„…komm, lassen wir das Thema. Damit du endlich deine Klappe hältst, gehen wir besser sofort los und; ja, ich bezahle! Sogar freiwillig!“ Plötzlich stutzte Theiß und schaute
verwundert nach unten:
„Sag mal. Wo hast du denn diese unmöglichen Schnabelschuhe her!?“ Den Triumph noch im Stillen auskostend und ganz in Gedanken versunken, fuhr der Nachtwächter erschrocken auf und fragte etwas verwirrt:
„Was? Wie?“
„Na, die Schuhe! Was sind das für hässliche Dinger?! Und dafür hast du noch Geld bezahlt?“ Adam schaute etwas irritiert:
„Hast du die noch nie gesehen? Die tragen jetzt doch alle Leute in der Stadt!“ Der Schmied lachte und zeigte belustigt auf die Schuhspitze:
„Was baumelt denn da vorne dran?“ Adam bückte sich und betrachtete sie ausgiebig und merkte nicht, wie Theiß an seine Geldkatze ging und ihm ein paar Gulden herauszog.
„Ich weiß gar nicht…“
„…ach komm. Laß gut sein! Ist mir auch egal! Du mußt sie ja doch tragen.“ Adam kam wieder hoch, schaute zuerst etwas verwundert und dann mit einem Mal sehr mißtrauisch. Schließlich drückte er dem Schmied seinen langen dünnen Zeigefinger auf die Brust:
„Sag mal, versuchst du mich wieder zu verarschen? Ich kenne dich doch!“ Theiß setzte seine Unschuldsmiene auf:
„Nein, nein. Warum sollte ich denn?“
„Na! Vielleicht wolltest du mir in den Allerwertesten treten, oder so ähnlich?!“ Theiß lachte erleichtert und machte eine einladende Bewegung mit der Rechten:
„Ach Quatsch! Wo denkst du hin. Komm laß uns gehen. Du hast doch so einen Höllenbrand, oder nicht? Je eher wir da sind, umso besser.“
Adam betrachtete ihn immer noch mißtrauisch und sein Auge suchte nach irgendwelchen verräterischen Anzeichen in seinem Gesicht. Aber vergeblich, und er wurde das Gefühl nicht los, dass Theiß weiter sein Spiel mit ihm trieb.
„Hast ja Recht. Gehen wir. Zum Goldenen Rahbarber?“
„Natürlich! Bei dem schönen Wetter!“
Sie gingen zu Fuß und kamen am `Bebroecker Weiher` vorbei, der in einer Senke lag und von mehreren kleinen Bächen gespeist wurde. Hinter ihnen im Westen, erhob sich der majestätische wirkende Junkersberg, auf dessen Spitze die Junkersburg mit ihren Zinnen zwischen den Bäumen hervorschaute. Auf der östlichen Seite des Weihers stieg das Land wieder allmählich an und sie kamen jetzt zum Galgenberg, der vor der Ortschaft Helenasbrunn lag.
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„Diesen scheiß Berg noch, dann haben wir uns sicher noch ein zusätzliches Bier verdient!“, fluchte Adam und Theiß klopfte ihm lachend auf die Schulter:
„Du kannst wohl nie genug bekommen, was? Eigentlich müsstest du doch froh sein, dass es diesen Galgenberg gibt. Oder nicht?“ Adam schaute etwas ernst und sagte:
„Naja, wie man`s nimmt! Im letzten Winter hätte ich hier beinahe meinen letzten Atemzug wegen diesem verfluchten Wintermörder gemacht! Hast du das schon vergessen?“
„Nein, nein! Mein alter Freund. Wie könnte ich das vergessen haben. Aber das ist nun schon längst Geschichte. Laß uns nicht mehr daran denken. Ich glaube nicht, dass wir noch einmal in eine ähnliche Lage kommen werden. Die Triglaw, also du, Johannes Nethox und ich, werden wohl nicht mehr gebraucht.“
Sie passierten wortlos und mit eiligen Schritten den Bergkamm der Richtstätte. Der Pfad, den sie jetzt herabkamen, führte sie an unzähligen Obstgärten vorbei, in denen es in allen möglichen Klangvariationen summte und surrte. So schön sie auch waren, aber sie wollten nicht so ganz in das schauerliche Bild passen, das sie soeben noch vor Augen hatten. Endlich kam der Gasthof Zum Goldenen Rahbarber des Paulus Rah in Sicht, dessen Schreibweise an seinen Nachnamen erinnern sollte, und ihre Schritte wurden wieder etwas schneller. Adam schien alles Vorherige vergessen zu haben und fuhr sich bereits genüßlich mit der Zunge über die Lippen.
„Mann, was habe ich nur für einen Brand heute.“ Und mit einem Zwinkern an seinen Freund gerichtet:
„ Na, wie gut, das du heute bezahlst, so schmeckt das Bier noch Mal so gut!“ Theiß nickte zustimmend, legte seinen Arm auf seine Schulter und hatte seinen Spaß, als er mit einem
gespielten und wohlwollenden Lächeln sagte:
„Geht schon klar, Adämchen. Jeder kriegt das was er verdient.“ Adam nickte vergnügt.
Sie gingen unter dem hohen Torbogen hindurch und kamen über den Innenhof zum Hauptgebäude. Rechts, neben dem Haupteingang, befand sich ein Durchgang, der wie ein Tunnel durch das Haus auf die andere Seite führte. Es war nur ein kleiner Durchgang, aber immerhin groß genug, das zwei Leute nebeneinander gehen konnten. So erreichten sie den hauseigenen Obstgarten, der mit laubenähnlichen Sitzecken unter jeden Baum ausgestattet war. Die knorrigen Äste mit ihrem dichten Laubdach, waren dabei willkommene Schattenspender.
„Nehmen wir wieder den Kirschbaum am Ende des Gartens?“, fragte Theiß.
„Scheißegal! Hauptsache…“
„…du kannst deinen Brand löschen!“, setzte der Schmied seinen Satz fort.
„Ja, genau! Selbst wenn uns die Tauben wieder den Tisch vollgeschissen haben! Komm, laß uns etwas schneller gehen. Sonst kommt noch so ein Pfeffersack oder Kluet daher und versucht ihn uns streitig zu machen!“ Sie hatten Glück. Der Sitzplatz war noch einer der wenigen freien Plätze; eben wegen jenem Taubenkot, und sie eilten sich diesen zu besetzen. Es dauerte nicht lange und sie konnten die erste Bestellung aufgeben. Eine junge blonde Frau mit einem tiefen Ausschnitt kam. Sie konnten nicht anders als dauernd auf ihre großen Brüste zu schauen.
„He Frieda! Hast du noch ein Bier für uns?“, rief der Schmied.
„Du meinst wohl zwei, mein Bärchen!“, kam die Antwort. Adam starrte währenddessen auf ihren Ausschnitt und machte dabei ein recht dummes Gesicht. Theiß sah das und schlug ihm leicht unter das Kinn:
„Mach die Klappe wieder zu! Frieda ist schon in festen Händen!“ Die Frau kicherte und verließ wieder den Tisch.
„Mann, hat die einen Hintern! Den müßte man…“
„He! Bist du nicht zum Biertrinken hier? Jedes Mal das Gleiche! Irgendwann mußt du doch mal kapiert haben, das bei Frieda für dich Hopfen und Malz verloren sind!“
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„Mensch Theiß! Hast du nicht ihre schönen weißen Zähne gesehen! Und diese festen Lippen!
Blutrot sag ich dir. Blutrot. Dafür würde ich glatt mein Bierkrug stehen lassen. Hörst du mir überhaupt zu?!“
Theiß schüttelte den Kopf und gab es auf. Stattdessen wanderte sein Blick umher und er betrachtete die anderen Gäste. Nebenan, zu ihrer Rechten, an einem stattlichen Apfelbaum, saßen zwei alte Männer, ihrer Körperhaltung nach, schon recht lange, denn sie lehnten weit vornüber gebeugt und schienen sich krampfhaft an ihren Bierkrügen festzuhalten. Zu ihrer Linken, befand sich eine Gruppe von Handwerksleuten, die sich andauernd laut lachend zuprosteten. Dazwischen wirbelte Friedas roter Rock geschäftig immer wieder auf. Sein Blick schweifte weiter umher, bis er schließlich verwundert an einer weit entfernten dunklen, halb verfallenen Sitzlaube hängen blieb. Sie befand sich in der nördlichsten Ecke des Obstgartens, unter den ausladenden Ästen einer Tanne des Nachbargrundstückes, die über den Zaun hingen und von einer Seite durch die Mauer eines Wirtschaftsgebäudes begrenzt wurde. Diese Sitzecke war bei den Gästen schon seit langem sehr unbeliebt und nicht mehr genutzt worden. Deshalb wurden jetzt nur noch Küchenabfälle und dergleichen dort hingeworfen. Aber heute war es anders und sie schien besetzt zu sein. Denn er glaubte kurz eine bleiche Hand gesehen zu haben, die zwischen ein paar Ästen hervorschnellte, um Einen davon etwas weiter hinunter zu biegen.
„Adam, guck mal da hinüber.“
„Was ist denn da? Hast du Hunger? Bist du etwa scharf auf die Küchenabfälle?“ Der Nachtwächter kicherte.
„Quatsch! Nichts als Küchenabfälle! Das habe ich ja auch zuerst gedacht. Aber ich glaube da sitzt tatsächlich jemand. Einer von den großen Ästen hatte sich bewegt.“
„Das glaube ich nicht. Vielleicht war`s nur ein beklopptes Eichhörnchen oder so. Wer setzt sich denn da freiwillig hin? Dieser elendige Gestank und dann noch die fiesen spitzen Nadeln der Tanne. Freiwillig setzt sich doch keiner da hin. Selbst wenn das Bier umsonst wäre!“ Aber Theiß ließ sich nicht beirren und stieß plötzlich den Nachtwächter an:
„Da! Guck doch! Frieda bringt gerade einen Bierkrug dorthin.“ Gespannt und erwartungsvoll
blickten sie hinüber, als sich Frieda der Ecke näherte. Zu ihrer Überraschung blieb sie jedoch ein paar Meter vor der Tanne entfernt stehen und stellte das Gefäß auf dem Boden ab. Dabei schaute sie nicht einmal auf; so als sei es ihr verboten und hastete schnell wieder davon.
„Hast du das gesehen?“, rief Theiß mit unterdrückter Stimme.
„Ja, komisch. Aber vielleicht sitzt da ja nur ein Hund“, versuchte Adam eine Erklärung zu finden und kratzte sich dabei etwas verlegen am Kopf.
„Na, das werden wir ja sehen! Laß uns abwarten und sehen was weiter passiert.“
„Ah! Da kommt schon unser Bier!“, rief Adam begeistert. Bevor Frieda wieder verschwinden konnte, hielt Theiß sie an der Hand fest:
„Sag mal Frieda, wer sitzt dort drüben unter der Tanne? Wer ist das?“ Sie erschrak bei diese Frage, und das wunderte ihn.
„Frieda, was ist los?“ Sie schaute unsicher zur Seite und versuchte sich loszureißen. Aber Theiß hielt sie fest und versuchte vergeblich ihren Blick fest zu halten.
„Theiß! Aua! Du tust mir weh!“ Sofort lockerte er seinen Griff und Frieda verschwand geschwind, ohne auch nur eine Antwort oder einen Wink zu geben.
„Verstehst du das, Adam?“
„Ne. Komisch ist das schon. Aber warum sagt die denn nichts? Und ganz schön zickig war sie obendrein. Eigenartiges Frauenzimmer.“
„Eben. Sie schien schon fast Angst zu haben. Ich glaube, ich geh mal `rüber zum Paulus.“ Adam aber hatte ganz andere Sorgen:
„Meinst du das ist eine gute Idee? Dein Bier wird doch warm.“
„Dann bleib doch einfach sitzen!“ Aber da kam ihm eine Idee: „Vielleicht ist das sogar sehr
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gut!“ Adam beäugte gierig seinen Bierkrug und hörte nur mit einem Ohr zu:
„Sag ich doch. Sag ich doch.“
„Gut. Ich geh` dann mal zum Paulus und du beobachtest weiter diese Ecke dahinten.“
„Geht doch klar Mann! Kein Problem.“
Theiß ging hinein in den Schankraum und fragte sich zu Paulus durch. Endlich fand er ihn beim Austauschen eines leeren Bierfasses.
„Grüß dich Paulus! Kann ich dich mal kurz sprechen?“
„Nur wenn du mir zuerst hilfst, dieses schwere Ding auszutauschen!“
Theiß schnappte sich das volle Bierfaß und stemmte es auf die Theke, nachdem Paulus Rah das Leere entfernt hatte. Im Handumdrehen hatte der Wirt einen Zapfhahn hinein geschlagen und wollte schon das nächste Bier anzapfen, als der Schmied ihm seine Rechte auf die Schulter legte.
„Hehe! Braunbär! Was soll das?“ Der Wirt, der wegen seiner starken Körperbehaarung von Allen so genannt wurde, schaute mit einem gequälten Lächeln zu ihm auf:
„Ja? Was ist? Kannst du mich nicht meine Arbeit machen lassen?“
„Wir hatten doch eine Abmachung! Ich helfe dir und du opferst mir eine Minute deiner wertvollen Zeit!“ Verlegen nahm Paulus seine weiße Schürze in die Hände und rieb darin nervös seine Hände. Dann drehte er hektisch seinen Kopf umher, als hätte er Angst und flüsterte: hinter vorgehaltener Hand:
„Komm mit nach hinten in die Küche! Es ist nicht gut für mich wenn man uns hier sieht.“ Theiß zog verwundert die Augenbrauen hoch und ihn beschlich ein ungutes Gefühl:
„Aber du weißt doch noch gar nicht, was ich von dir wissen will!“ Paulus Rah preßte die Lippen zusammen und drehte sich abermals um.
„Halt die Klappe, und komm jetzt mit! Nicht hier!“
Er folgte dem Wirt durch einen schmalen Flur und die Küche, bis sie endlich den Vorratsraum erreicht hatten. Listig wie eine Katze, löschte er dabei alles Licht hinter ihnen. Paulus wies ihm einen Platz auf einem Bierfaß zu und schloß die Tür, kurz nachdem er noch einmal hinaus gespäht hatte.
„Was hast du denn, Paulus? Was ist hier eigentlich los? Zuerst Frieda, und jetzt du! Ich erkenn euch gar nicht mehr wieder!“ Paulus legte den Zeigefinger an den Mund:
„Psst! Nicht so laut! Das wirst du gleich wissen, wenn ich fertig gesprochen habe“, flüsterte der Wirt mit angespannter Stimme. Theiß kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und er ahnte, dass etwas Eigenartiges im Anmarsch war, wie er immer zu sagen pflegte.
„Frieda kam eben schon zu mir gerannt und erzählte mir bereits, dass du schon so neugierig gewesen bist!“
„Neugierig?! Was soll das denn heißen? Jetzt ist aber mal Schluß hier! Ich wollte nur wissen, was das für ein Typ dahinten in den dunklen Ecke ist!“
„Und genau das ist ja unser Problem!“
„Problem! Was für ein Problem?!“, rief Theiß überrascht.
„Nicht so laut! Brüll doch nicht so `rum! Sonst hört der uns noch!“
„Wer?! Nun sag schon! Wer?!“ Paulus Rah kratzte sich am Kopf und wischte sich die Schweißperlen mit seiner schmutzigen Schürze von der Stirn.
„Nur, wenn du mir versprichst, nicht mehr laut zu werden. Seit du in dieser Triglaw bist, bleibt dir auch gar nichts mehr verborgen!“
„Warum sollte das denn? Ihr solltet froh sein, das wir letztes Jahr diesen Thoms Neckels dingfest machen konnten.“ Paulus hielt abwehrend die Hände hoch:
„Sicherlich. Das sind wir auch alle hier. Aber manchmal ist es auch gut nicht alles zu wissen.“
„Versteh ich nicht.“ Der Wirt verzog etwas gereizt das Gesicht.
„Genau das habe ich befürchtet!“ Theiß war mit seiner Geduld ebenfalls fast am Ende und stand langsam, und schon fast drohend, von seinem Faß auf. Mit seinem muskulösen rechten
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Arm wies er zum Ausgang und sagte:
„Wenn du mir nicht sofort sagst, was hier gespielt wird, gehe ich hinaus und werde mir diesen eigenartigen Kerl anschauen! Aber,“ und er beugte sich zu ihm hinunter, „ ein falsches Wort oder ein falscher Pieps von ihm, dann kann ich dir für nichts garantieren!“ Paulus wollte
etwas sagen, aber Theiß unterbrach ihn und sagte erregt:
„Und dann werden wir uns beide noch mal unterhalten!“ Paulus schluckte. Er schien in seinen Gedanken zweierlei abzuwägen. Dann hatte er sich entschieden:
„Gut. Setz dich und höre zu! Aber ich habe eine Bedingung, kein Wort zu irgendjemanden sonst! Klar?“ Theiß schüttelte seinen Kopf und winkte entschlossen ab.
„Nein! Kann ich nicht versprechen!“ Der Wirt holte tief Luft und ihm entfuhr ein leises:
„Scheiße!“ Theiß tippte ungeduldig auf den Deckel des Bierfasses.
„Dann darfst du es aber nur den anderen der Triglaw erzählen.“
„Das geht in Ordnung. Erzähl jetzt schon!“
„Unter der Tanne sitzt ein Kerl, dessen Gesicht niemand sehen darf. Heute Morgen kam er in einer Kutsche in Begleitung mit sechs schwarz gepanzerten Kürassieren zu mir auf den Hof gefahren. Er war unter einer schwarzen Kapuze versteckt. Ich erschrak, als ich den Aufzug sah. Die Panzerritter hielten ihre Visiere verschlossen und ich bekam zuerst niemanden zu Gesicht. Mir standen die Haare zu Berge, als die Ritter auf mich zukamen und mir wortlos ihre Schwerter an die Kehle hielten. Dann stieg ein älterer, grauhaariger Mann aus der Kutsche und sagte mit schneidender Stimme: Gütiger Herr Rah, ich gebe ihnen hiermit einen Mann in ihre Obhut, dem sie für ein paar Tage Unterschlupf zu gewähren haben! Sollte ihm wider Erwarten etwas zustoßen, wird das für sie und ihre Familie ernsthafte Folgen haben! Sie alle werden dann mit ihrem Leben dafür bezahlen müssen!“
„Ein höchst unangenehmer Kerl, sag ich dir!“
„Was geschah dann?“
„Ich Esel, fragte dann noch nach dem Namen des Herrn!“
„Und?“
„Nichts und! Die Schwerter bohrten sich tiefer in meinen Hals, dass ich glaubte, es wäre um mich geschehen! Auf einen Wink des alten Mannes hin, ließen sie von mir ab und stattdessen kam er und packte mich bei der Kehle. Die Metallplatten an seinem Handschuh haben mir den ganzen Hals zerschnitten! Deshalb das Halstuch. Mit dem Lachen eines Folterknechtes von der schlimmsten Sorte, sagte er plötzlich: Öffnen sie ihren Rachen! Ich tat es. Dann fragte er mich, ob ich schon einmal was von einem Schwedentrunk gehört habe. Ich nickte. Er lachte und erklärte mir, dass er diesen Trunk nicht nach der üblichen Art und Weise verabreiche. Damit die Jauche besser fließen könne, würde er zuerst jedem die Zähne ziehen lassen. Dann müssten die Angehörigen sich selbst den Trunk verabreichen. Schließlich wolle er sich nicht die Finger an diesem Teufelszeug schmutzig machen! Zum Schluß, bevor er und die Reiter wieder abfuhren, warnte er mich, dass der Name des Besuchers geheim sei und jeder Versuch ihn herauszufinden, ebenfalls mit dem Tode bestraft würde!“
Theiß sah Paulus ängstlich zitternd auf dem Faß sitzen und überlegte was er jetzt am besten sagen sollte, denn, wie jetzt Adam sagen würde; war hier Holland in Not.
„Paulus Rah. Das sind schlimme Nachrichten! Aber das kann man nicht so einfach über sich ergehen lassen!“ Sofort fiel der Wirt vor ihm auf die Knie und hielt die Hände gefaltet:
„Theiß! Bitte sage niemanden etwas! Du hast es versprochen! Unser aller Leben ist in Gefahr! Sie werden heute Abend schon wieder zurückkommen!“ Theiß faßte ihn bei den Händen und hob ihn vorsichtig wieder auf:
„Das weiß ich doch, alter Freund! Aber sobald dein eigenartiger Gast mit ihnen deinen Hof verlassen hat, werden wir ihnen folgen und herausfinden, wer er und sie sind. Auf unsere Gefahr hin, versteht sich!“ Paulus Rah schaute wieder etwas hoffnungsvoller drein und nickte:
„Ja, das hört sich schon besser an. Laß sie erst einmal weit weg sein, dann ist es mir auch
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egal.“ Theiß schaute verbittert:
„Ich habe immer gedacht, dass der Dreißigjährige Krieg vorbei ist! Verflucht! Wer sitzt denn jetzt da draußen?“
„Das weiß ich nicht. Vielleicht einer der Kürassiere? Vielleicht der Hauptmann? Der Gast? Theiß, das Beste wird wohl sein, das ihr jetzt geht. Sonst schöpft der alte grauhaarige Kerl noch Verdacht.“ Theiß dachte angestrengt nach und nickte:
„Ja, stimmt. Das wird wohl das Beste sein! Für`s erste! Jetzt, da man uns vielleicht schon gesehen hat, ist es aber erforderlich, das Johannes Nethox ab und zu vorbei kommen wird.“ Der Wirt nickte. Sie gingen hinaus und Theiß kehrte zu Adam zurück.
„He! Wo warst du so lange? Mit Frieda spielen?“
Aber der Schmied war im Moment nicht für solche Späße aufgelegt. Er spürte in seinem Rücken förmlich den bohrenden Blick des Fremden. Eine tödliche Gefahr, wie ein leises Gewitter, langsam, aber stetig anschwellend, je länger sie hierblieben.
„Halt deinen Schnabel, Adam! Wir müssen sofort von hier verschwinden!“ Adam schaute ihn ungläubig aus seinem großen Auge an:
„Was ist denn los?“ Aber Theiß hielt nur den Finger an den Mund und flüsterte:
„Tu am besten so, als seiest du betrunken. Das fällt am wenigsten auf. Ich erkläre dir gleich alles, wenn wir bei mir zu Hause sind.“
„Aber eine kleine Entschädigung wird`s doch geben, oder?“
„Ja, natürlich! Ich kann jetzt auf jeden Fall auch einen Schluck gebrauchen!“
„Na, dann bleiben wir doch einfach…!“
„…aber nicht hier!“
„Ist denn was passiert? Was Schlimmes?“ Theiß nickte, zwei Mal. Aber Adam schluckte nur einmal, dafür aber tiefer.
„Gut, ich habe verstanden! Gehen wir.“
- Veröffentlicht am Donnerstag 1. Oktober 2020 von Christoph Nellessen
- ISBN: 9783000665660
- 260 Seiten
- Genre: Belletristik, Erzählungen, Historische Romane