„Narrating the Nation“ (Stefan Berger) war traditionelle Aufgabe der Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie hat aber auch im heutigen Deutschland die entsprechende Meistererzählung zu liefern. Ob in Histotainment, Feuilleton oder Publizistik, Historiker_innen greifen sogar in sozialpolitische Debatten ein und unterlegen sie mit Narrativen, die bestimmten Politiken historische, d.h. moralische Tiefe verleihen sollen. Das geschichtliche Bewusstsein, das vom politischen untrennbar ist, hängt wesentlicher von der (Re-)Konstruktion der traditionell von Historiker_innen gepflegten Nationalgeschichte ab, als die verbreitete Vorstellung vom ins akademische ‚System‘ zurückgezogenen Geschichtswissenschaftler vermuten lässt.
In den letzten Jahren griff auch der NS-Forscher und Kolumnist Götz Aly insbesondere in sozialpolitische Debatten ein. In seinem Buch „Warum die Deutschen? Warum die Juden?“ erhält jede Kapitalismuskritik eine letztlich moralische Abfuhr: Aly, der ‚Juden‘ als die ideale Verkörperung der (neo-)liberalen Bourgeoisie vorstellt, deutet die Shoah gleichsam als sozialdemokratischen Angriff auf die bürgerliche Gesellschaft.
Raiko Hannemann analysiert in „Die unerträgliche Leichtigkeit des Vorurteils“ Alys Thesen im Kontext deutscher Geschichtsdiskurse und politischer Konstellationen. Er verbindet dabei einen Stimmungsbericht der ‚Berliner Republik‘ mit Kritik, die sich nicht in bloßer Empörung über Bestehendes erschöpft, sondern sich als Aufruf zum Darüber-Hinausschauen versteht. Hannemann plädiert für eine kritische Geschichtsforschung, die eine „vernünftige und menschliche Einrichtung […] des gesellschaftlichen Ganzen“ (Max Horkheimer) für möglich, ja für nötig hält.
- Veröffentlicht am Donnerstag 4. Dezember 2014 von Neofelis
- ISBN: 9783943414639
- 200 Seiten
- Genre: Gesellschaft, Politik, Sachbücher, Wirtschaft