Documenta 13: 100 Notizen – 100 Gedanken

Die Suspendierung der geschichtlichen Zeit

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Der Text im vorliegenden Notizbuch ist ein Auszug aus Furio Jesis Buch Spartakus. Simbologia della rivolta (Spartakus. Symbolik der Revolte), das er 1968/69 verfasst hat. Jesi beschäftigte sich mit der Wechselwirkung von Mythos und Politik, und sein Denken beruhte auf der Auseinandersetzung mit den Thesen des Mythenforschers Karl Kerényi (1897–1973). Die Revolte des Spartakusbundes, die mit dem Reichskongress am 29. Dezember 1918 in Berlin begann, bildet für Jesi den Ausgangspunkt für eine Reflexion über die spezifische Zeiterfahrung der Revolte im Unterschied zu der einer Revolution oder Partei. Im Augenblick der Revolte suspendiere die historische Zeit und wiche einer symbolischen Raumzeit, in der ein gesamtes Kollektiv Zuflucht finden könne. Dennoch würde nach ihr wieder die ’normale Zeit‘ eingeläutet, die dem herrschenden politischen System in die Hände spielt. Dieses ‚Unzeitgemäße‘ der Revolte, wie Andrea Cavalletti es in seinem Vorwort nennt, ist eine paradoxale kollektive Erfahrung, die Jesi zu einer scharfsinnigen politischen Theorie anregte.

Andrea Cavaletti (*1967) lehrt Ästhetik und Zeitgenössische Literatur an der Università Iuav di Venezia.

Furio Jesi wurde 1941 in Turin, Italien, geboren und starb 1980 in Genua. Er lehrte deutsche Literatur an der Universität Palermo.