Edition Gellen

"Altes verjüngt" – Nach der Originalausgabe Nürnberg 1823

von

Wer hat „die Insel Felsenburg“ gelesen? Ich denke, sehr wenige von uns, wiewohl wir alle von diesem Hauptbuche, welches der Robinson unsrer Väter war, das Gerücht gehört haben. Mir selbst ist es nur in späteren Jahren gelungen, dieses Schatzes, nach dem ich schmachtete, habhaft zu werden. Vielleicht sieht man es gerne, wenn ich allerlei daraus nacherzählte, etwas kürzer freilich als die Urschrift in vier dicken Bänden, welche eigentlich den Titel: „Wunderliche Fata einiger Seefahrer“ u. s. f. führt.

Zugleich ist es die Absicht, aus noch einigen vormals berühmten, aber jetzt verschollenen Lesereien Auszüge nach meinem Sinne, und unabhängig von anderweitigen Bearbeitungen zu versuchen.

Indem ich die Jugend zunächst ins Auge faßte, hoff‘ ich mit größerer Sicherheit den allgemeinen gültigen Ton und das gehörige Maß zu treffen.

***

Fünf Jahre bevor Ludwig Tieck (1773–1853) der „Insel Felsenburg“, einem der meistgelesenen deutschen Romane des 18. Jahrhunderts, mit seiner gestrafften und sprachlich bearbeiteten Neuausgabe erneute Aufmerksamkeit eröffnete, trat der pommersche Schriftsteller Karl Lappe – geboren 1773 in Wusterhusen bei Greifswald, gestorben 1843 in Stralsund – im Jahr 1823 mit einer stark gekürzten und überarbeiteten Fassung des Werkes an die Öffentlichkeit, die ausdrücklich für junge Leser gedacht war. Unter dem Reihentitel „Altes verjüngt“ sollten verlorene Bücher der damaligen Zeit, aufbereitet für junge Leser, wieder zugänglich gemacht werden. Weitere realisierte Bände sind nicht bekannt, offenbar blieb es bei diesem. Bereits 1820 war von ihm in Pest eine noch kürzere Fassung der „Insel Felsenburg“ erschienen, auch mehrere Zeitschriften hatten den Lappe-Text veröffentlicht. Als älteste Publikation gilt die sechsteilige Serie in der Zeitschrift „Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz“, hg. von Friedrich Wilhelm Gubitz, Berlin 1820 (vgl. Schnabeliana 8, Jahrbuch der Johann-Gottfried-Schnabel-Gesellschaft, Stolberg/Harz, 2004–2005, S. 28).

Die der Neuausgabe im Neisse Verlag zugrundeliegende Erstausgabe von 1823, bei Heinrich Haubenstricker in Nürnberg, ist eine bibliophile Rarität. In keiner öffentlichen Bibliothek in Deutschland ist dieses Buch nachweisbar. Es erscheint somit erstmals nach über 190 Jahren wieder in der literarischen Öffentlichkeit.

Karl Lappe, ein Schüler des Rügener Pfarrers und Dichters Ludwig Gotthard Kosegarten (1758–1818) und Freund Ernst Moritz Arndts (1769–1860), war bereits mit mehreren Gedichtbänden sowie dem Reisebuch „Mitgabe nach Rügen“ als Schriftsteller hervorgetreten, als er die „Insel Felsenburg“ neu erzählte. Wie später auch Ludwig Tieck, verschwieg er deren Verfasser, der sein Werk zwischen 1731 und 1743 in vier Bänden in Nordhausen veröffentlicht hatte, unter dem Titel:

„Wunderliche Fata einiger See-Fahrer, absonderlich Alberti Julii, eines gebohrnen Sachsens, Welcher in seinem 18den Jahre zu Schiffe gegangen, durch Schiff-Bruch selb 4te an eine grausame Klippe geworffen worden, nach deren Übersteigung das schönste Land entdeckt, sich daselbst mit seiner Gefährtin verheyrathet, aus solcher Ehe eine Familie mit mehr als 300 Seelen erzeuget, das Land vortrefflich angebauet, durch besondere Zufälle erstaunens-würdige Schätze gesammlet, seine in Teutschland ausgekundschafften Freunde glücklich gemacht, am Ende des 1728sten Jahres, als in seinem Hunderten Jahre, annoch frisch und gesund gelebt, und vermuthlich noch zu dato lebt, entworffen Von dessen Bruders-Sohnes-Sohnes-Sohne, Mons. Eberhard Julio, Curieusen Lesern aber zum vermuthlichen Gemüths-Vergnügen ausgefertiget, auch par Commission dem Drucke übergeben Von Gisandern.“

Bereits seit 1812 war bekannt, daß sich unter dem Pseudonym Gisander der gräfliche Kammersekretär und Hofbarbier Johann Gottfried Schnabel in Stolberg am Harz verbirgt. Dieser war in dem Fachwerkstädtchen auch Herausgeber der Zeitung „Stolbergische Sammlung Neuer und Merckwürdiger Welt-Geschichte“ Lappe kürzte das 2500-Seiten-Werk auf 172 Druckseiten mit jeweils bis zu 17 Satzzeilen zusammen, dabei eliminierte er alles, was er für nicht für jugendfrei hielt („den allgemein gültigen Ton … treffen“) sowie die bisweilen beißende Gesellschaftskritik Schnabels. Geblieben ist eine noch immer spannend erzählte Robinsonade und Auswandererutopie, die Lust auf das damals weithin vergessene und unerreichbare Originalwerk geweckt und vielleicht auch den baldigen Erfolg Tiecks vorbereitet haben dürfte. Bis 1834 erschienen drei weitere Auflagen des Lappe-Werkes, diese dann auch mit vier Kupferstichen illustriert.

Arno Schmidt hat Schnabels „Insel Felsenburg“ zuerst anhand der Tieck-Ausgabe von 1828 neu entdeckt und als eines der wichtigsten Werke der deutschen Literatur gewürdigt. Diese Neuausgabe der Lappeschen Nacherzählung in der Edition Gellen des Neisse Verlages versteht sich als literarische Denkmalpflege und soll – nicht anders als die Erstausgabe 1823 – einmal mehr Lust wecken auf die gesamten Schätze der Insel Felsenburg.