Edition Künstlerhaus

Gedichte

von

Vor etwa 8000 Jahren haben neolithische Steinmetze in Lepinski Vir entlang der Donau auf dem Balkan Skulpturen hergestellt, seltsame Wesen, halb Mensch halb Fisch. Als der Dichter Veno Taufer eine Ausstellung mit den Entdeckungen der Archäologen besuchte, war er fasziniert von ihren offenen Mäulern, weit aufgerissenen Augen, dem Ausdruck von Hilflosigkeit und Schrecken. Er nannte diese anthropomorphen Kreaturen ‚Wasserlinge‘ und versuchte sich vorzustellen, welche Katastrophe solche Angst und solchen Schmerz ausgelöst haben könnte. ‚Als ich diese Kreaturen sah, wollte ich ihrem stummen Schrei eine Stimme geben. Was blieb mir übrig, als auf meine eigene Erfahrung, die eines modernen Menschen, zurückzugreifen?’Die Stimme, die Taufer diesen Statuen verleiht, nimmt die Form minimalistischer Poesie an, in der Folklore sich mit Mythos und Logos verbindet. Die Gedichte deuten auf ein apokalyptisches Geschehen hin, das zum Verschwinden der Wasserlinge geführt hat. Dem streng gegliederten Zyklus ist etwas Magisches eigen. Die Sprache, oft ritualhaft feierlich, bedient sich des Mittels der Wiederholung und erinnert an die alogisch-poetische Welt der Zaubersprüche.