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Lyrik und Prosa

von ,

Schroff und abweisend, kalt wie der Stahl des Skalpells auf dem Nirosta-Tisch in der Pathologie – so stellt sich dem Betrachter beim ersten Blick das Werk von Mone Hartman dar. Man meint, auf einen kargen, nackten, eisigen, von aller Flora und Fauna entblößten Berggipfel zu blicken, unwirtliches Gelände, lebens­feindliche Zone, man will da nicht hin, will in der Ebene blei­ben, unabenteuerlich zwar, langweilig gar, scheinbar aber unbedroht, scheinbar festen Bodens, scheinbar umgeben von allerlei Komfort, Nahrung, Vogelgezwitscher, plätschernden Bächen. Und Menschen wie du und ich.
Dann aber blitzen von dort oben Zeichen und Wegmarken auf, funkelndes Edelgestein scheint im unfruchtbar Felsigen zu stecken, man sieht Liebesgeschwür, dann Wolkenvogel; auch sekundensüß, folge­falsch und Honigzunge glitzern von oben ins Flache herunter; man sieht Antiaugencreme, Zerphallung, Molo­tow-Soda, Warmgedanken – und findet sich plötzlich, man weiß nicht wieso, im Gebirge, nach oben kletternd, dorthin, wo im Öden die Stellen leuchten. Beschwerlich der Weg, sofern von Weg überhaupt die Rede sein kann. Schründe und tückische Spalten gilt es zu überwinden, Geröll prasselt von oben herab, Geröll löst sich unter deinen Schuhen mit den zittrigen, ängst­lich-tastenden Füßen darin, Geröll unter deinen Händen, die sich an alles klammern, was kein Geröll zu sein scheint, einen Halt verspricht, du willst aufgeben, zurückkehren ins Gemüt­lich-Flache, da spürst du: Es gibt kein Zurück mehr. Zu weit gegangen, zu nahe dem Gipfel schon, schon zu sehr alles, alles hinter sich, unter sich gelassen, eine Rückkehr wäre gefährli­cher als zu bleiben wo du bist, hängend in der Fels­wand, aber festgekrallt, gefährlicher vor allem, weil du unten erklären müsstest, weshalb du nicht mehr derselbe bist.
Und plötzlich spürst du unter deinen Händen: Der Fels hier ganz hoch oben ist gar nicht nackt, karg, eisig! Er ist warm, weil er der Sonne so nahe ist, dass immer die Gefahr besteht, zu ver­brennen, zu ver­glühen, sich aufzulösen, zu Asche zu werden. Und du begreifst: Nicht wegen des Bodens grünt und blüht hier nichts – der Boden ist warm, zu Erde gewordener Fels, von den Jahrtausenden, die er auf dich gewartet hat, zu Sommererde ist er geworden, in die der Spaten leicht eindringt. Nicht wegen des kargen Bodens grünt und blüht hier nichts – hier herrscht die eisig-dünne Gipfelluft von Wahrhaftigkeit und Wahrheit, bei der alles Lauwarme, alle Lügen und auch der Verrat verdor­ren.