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Gedichte

von

Ein scheinbares Nichts von Gedicht, das ›Mausefallen-Sprüchlein‹ von Mörike nämlich, regte Adorno zu einer seiner raren normativen Bestimmung dessen an, was Kunst­werke sind oder sein sollten: »(…) von keinem ließe sich angeben, was es urteilt, keines ist eine sogenannte Aussage.« Liest man die Gedichte von Siri Kusch, meint man, dieses Adorno-Wort sei für und über die Dichterin geschrie­ben.
Man nehme nur ihr »Rätsel der Farnfortpflanzung«: Zauber­haft der Klingklang der Wortwahl, zart, wie das besungene Objekt, die Fäden der Form, das Ganze in graziöser Schwebe gehalten wie Nebelschwaden über einer morgenfrischen Wie­se. Auch hier scheinbar ein Nichts, hingetupfte und -gewischte Farbflächen wie bei einer Aquarellskizze von Turner. Verweilt man aber bei dem Werk, öffnen sich, ganz wie bei Turner, plötzlich Welten. Und jeder Lesende wird etwas ande­res sehen: Kunst, Religion, Liebe, Pantheismus und vieles mehr – oder auch alles zusammen. Was also ist die ›Aussage‹ dieses Gedichts? Es gibt keine. Außer: Ich bin ein Kunstwerk.
Eine hellsichtige Melancholie durchweht alle Zeilen in diesem Buch, oft auch ein feiner Spott, der aber dann viel präziser als alle lärmende Kritik seziert und offenlegt, wo unter unserer dünnen Haut die malade Stelle zu finden ist. Wie oft schon wurde in der Literatur beispielsweise die Hohlheit und Blasiertheit des gesellschaftlichen Small-Talk kritisiert und verachtet. Ich kenne aber kein Werk, das dieses Verhalten so elegant und quasi en passant liquidiert hätte, wie es Siri Kusch in ihrem Gedicht ›Lauer Abend‹ tut. Mit drei kleinen Zeilen – die schnitzel / aber haben / größe – desavouiert sie das ganze Gewäsch ein für alle Mal.
Es ist ein ästhetisches Vergnügen, dem Florett der Kusch bei der Arbeit zuzuse­hen. Selbst dann noch, wenn dessen Spitze einem unvermittelt ins eigene Fleisch fährt …