Edition Solitude

von

Als Theaterautor hat Alexej Schipenko immer neu Biographien zu erfinden, Charakteren Gesicht zu verleihen und Lebensgeschichten darzustellen. Das vorliegende Buch, das erste des Autors in deutscher Sprache, ist das konsequente Gegenstück hierzu. In einer Sammlung von Notaten, von wenigen Sätzen bis über einige Seiten reichend, gibt Schipenko Einblick in ein Leben, sein Leben, geleitet einzig von der Richtschnur des Faktischen, gepaart mit dem Zufall. Der Vorsatz: „hinsetzen und schreiben, was wann womit zusammenfiel“, und er fügt trocken hinzu, „solange die Verkalkung noch nicht eingesetzt hat“.

„77“ ist ein Buch der Übereinstimmungen, es zählt auf, welche Überschneidungen von Erfahrungen, Orten, Namen, Zeiten oder lediglich Zahlen sich ergeben haben im Leben des Autors. Das Ich, das das Zentrum aller Eintragungen bildet, wird gewissermaßen umkreist, auf es wird verwiesen, ohne daß es selbst ins Licht gerückt wird.

In sachlichem, fast unterkühltem Tonfall berichtet der Autor von Ereignissen, die plötzlich, durch zufällige Dopplungen, einen anderen Stellenwert zu bekommen scheinen. Das neutrale Prinzip der Reihung gibt dem Buch seine Struktur, das letzte Glied der ersten Gedankenkette bildet den Auslöser für die nächste, undsoweiter. Alle Beobachtungen tragen in sich den Kern zu einer größeren Geschichte, die nicht erzählt wird. Das macht ihre Kargheit und ihren Reiz aus. Sie verweisen auf die Fiktionen herausfordernde Kraft der Fakten, sie deuten auf den Punkt hin, wo die Literatur beginnen und der Lebensbericht enden könnte. Oder hat sie bereits begonnen?

Mit diesen Notaten schickt Alexej Schipenko seinem großen Roman „Zian Arsenija“, dessen deutsche Übersetzung vorbereitet wird, seinen persönliches Tagebuch der Übereinstimmungen voraus.