Edition Wehrhahn

von

Kästner war Mathematiker und Schöngeist, eine dem Rokoko letztmals gelungene und zur Verhaltensform gemachte Vereinigung von Formel und Eleganz, von Mechanik und Lebenslust – zugleich aber der Entfernung der Natur, obwohl man von ihr alleweil redete. (Hans Blumenberg, Höhlenausgänge)
Zu Abraham Gotthelf Kästners (1719–1800) schöngeistigen Leistungen zählten insbesondere seine Lehrgedichte. In seinen Vermischten Schriften sind neben Essays, Oden, Epigrammen, Satiren auch elf Lehrgedichte versammelt, die sich im 18. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreuten. Zu den begeisterten Kästner-Lesern der Zeit zählten Philosophen und Dichter wie Kant, Herder, Lichtenberg, Novalis und Kleist.
Die Gattung des Lehrgedichts kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Bereits die frühen Kosmologien der ionischen Naturphilosophen waren häufig in der poetischen Form des Lehrgedichts geschrieben. Während diese Gattung in der Moderne weitgehend in Vergessenheit geraten ist, erfährt sie im beginnenden 18. Jahrhundert noch einmal eine Wiederbelebung, an der Kästner neben Alexander Pope und Albrecht von Haller großen Anteil hatte. Dabei nimmt das Lehrgedicht innerhalb der Poetiken der Zeit eine unsichere Stellung ein, bewegt es sich doch zwischen Didaxe und Unterhaltung, zwischen Spekulation und Invention. So behandeln Kästners Lehrgedichte ganz unterschiedliche Themen und mit je unterschiedlicher Akzentuierung. Fluchtpunkte bilden dabei jedoch Fragen der Kosmologie und Poetik. Die vorliegende Edition macht die elf Lehrgedichte Kästners wieder zugänglich und rückt die historische Relevanz des Lehrgedichts in den Fokus.