Einladung an alle

von

Frage: ‚Ihr neuer Roman beruht auf einem Kriminalfall, der vor einiger Zeit Schlagzeilen machte. Was hat Sie gerade an diesem Stoff gereizt?‘
Antwort: ‚Die Hetzjagd und die Vereinzelung des Verfolgten. Es handelt sich um den Fall des Bruno F., der Mitte der sechziger Jahre der in Deutschland meistgesuchte Verbrecher war. Man nannte ihn den Moormörder, den Waldmenschen, den Unhold. aber zunächst war er ein Einbrecher, der kleine Sachen machte.‘
Das Verbrechen als ein einsamer Existenzkampf und die Verbrecherjagd als eine Massenunterhaltung –  das ist das Thema von Dieter Wellershoffs neuem Roman Einladung an alle. Der Autor geht von einem realen Fall aus, einer der größten und langwierigsten Polizeifahndungen der Nachkriegszeit. Er tut das nach umfangreichen Sachstudien. Und zweifellos ist es ein besonderer Reiz dieses Romans, daß er dem Leser fremde Lebensbereiche, so vor allem die Polizei und ihre Arbeitsweise und das Verhalten ihres Gegenspielers bis ins Detail hinein darstellt.Aber nur nebenbei nimmt der Roman die Konkurrenz des Sachbuches an. Denn er will den ganzen vielfältigen Vorgang erfassen, seine extreme Hysterie, seine Gewaltsamkeit, seine Fiktivität. Er zeigt die Prozesse, die in, zwischen und neben den Personen ablaufen, an denen sie beteiligt sind als zufälliger Beobachter, Mitläufer, Fachmann oder Opfer, die plötzlich ihre körperliche Existenz erfassen, aber auch als Ideologie, Information, Strategie und Wahn ihre Gehirne besetzen. Wie der Tod einmal als persönliche Erfahrung erscheint und unmittelbar danach als pure Mechanik, so entstehen fast alle Geschehnisses dieses Buches aus wechselnden Perspektiven und einer Schreibweise, die immer wieder ihre Taktik wechselt. Dokument, Beschreibung, Montage, innerer Monolog, erlebte Rede und Bericht entsprechen verschiedenen Schnitten durch das Ganze des dargestellten Geschehens. An ihnen entfaltet sich die Eskalation einer aggressiven gesellschaftlichen Prozesses, dessen Aktualität täglich neu belegt wird.