Engelsglück und Flügelstaub

von

Silva tat das, was sie am liebsten tat – spazieren gehen. Die beiden Großen begleiten sie mit dem Fahrrad. Laufen ist langweilig. Lieber fahren sie möglichst rasant voraus und wetteifern, wer die längste Bremsspur zieht. Der Kleine ist ebenso lauffaul und lässt sich lieber chauffieren. Also, ab in den Kinderwagen und los geht’s.
Ihr Blick folgt den vor ihr fahrenden Kindern, die wie so oft lauthals rufend ein Wettrennen veranstalten. Trotz des Lärms empfindet sie den Augenblick als Moment der Stille. Aus dieser lärmenden Stille heraus erahnt sie jedoch ein anderes Geräusch. Im letzten Moment hören die beiden Radrennfahrer ihre warnende Stimme und fahren schwankend zur Seite. Ein viel zu schneller Kleinlaster rast unmittelbar darauf um die unübersichtliche Kurve und wirbelt reichlich Staub und Steine von der Straße auf. Sekunden später kehrt die Stille zurück.
Trotz ihrer Erleichterung umklammert Silva noch einen Augenblick lang den Kinderwagengriff, um dann den Jungs das Kommando zur Weiterfahrt zu geben. Im Gehen bleibt ihr Blick an einem liebevoll gebundenen Türkranz hängen. Wie ein Schlüssel das Schloss, öffnet der schöne Türkranz verborgene Bilder in ihrem Kopf. Bilder, die sie vergangene Nacht im Traum sah. Sie erinnert sich plötzlich an Stimmen, lachende, heitere Stimmen. An Momente der Sorgen, aber auch der Zufriedenheit. Ja, sie war diesmal zufrieden aufgewacht, was nicht immer nach den Träumen der Nacht bei ihr der Fall war. Sogar mehr als das.
Als sie ihren Blick wieder auf die roten und blauen, vom Wind geblähten T-Shirts richtet und den kleinen Kopf im Kinderwagen betrachtet, weiß sie, dass sie diesen Traum weiterträumen will.