Salomon Hermann Mosenthal (1821-1877), ein geschätzter Librettist und Dramatiker der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ist heute in Vergessenheit geraten. Neben seinen Bühnenwerken hinterließ er fünf „Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben“. In diesen einfühlsamen Skizzen entwickelt er ein differenziertes Bild vom jüdischen Leben zwischen Tradition und Emanzipation, von der Armut der hessischen Gemeinden, aus denen auch er stammte, von der Spannung zwischen Orthodoxen und Reformierten, vom Beitrag der Frauen zum Gemeinwesen und den Hoffnungen der jüngeren Generation, ein erfüllteres Leben als die Alten führen zu dürfen. Die Dialoge vermitteln eine Sprache, die zwischen Jiddisch und Deutsch schwankt, ohne Überheblichkeit, doch mit der Nostalgie eines alten Mannes, der auf eine schwierige Jugend nicht ohne Dankbarkeit zurückschaut. Mosenthal schrieb für ein nichtjüdisches Publikum, dem er die jüdische Minderheit sympathischer machen wollte, indem er es in liebevollen Anekdoten über Sitten und Gebräuche seiner Kindheit informierte
Ruth Klüger weist in ihrem ausführlichen Nachwort auf Mosenthals literarischen Rang hin und zeigt, daß man aus seinen Erzählungen etwas über jüdisches Leben in Deutschland im 19. Jahrhundert erfahren kann, was in Geschichtsbüchern und Tatsachenberichten nicht zu lesen ist.
Die Herausgeberin: Ruth Klüger, 1931 in Wien geboren, wurde nach Theresienstadt und in die Konzentrationslager Auschwitz und Groß-Rosen verschleppt. Nach dem Krieg emigrierte sie in die USA und lebt als Literaturwissenschaftlerin in Irvine/Kalifornien und Göttingen.
Für ihre Werke erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen: * Rauriser Literaturpreis 1993 für die beste Prosa-Erstveröffentlichung in deutscher Sprache, * Johann-Jacob-Christoph von Grimmelshausen-Preis 1993, * Niedersachsen-Preis 1993, * Marie-Luise-Kaschnitz-Preis 1994, * Anerkennung zum Andreas-Gryphius-Preis 1996, * Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft 1997, * Österreichischer Staatspreis für Literaturkritik 1997, * Prix Mémoire de la Shoa 1998, * Preis der Frankfurter Anthologie 1999, * Thomas-Mann-Preis der Stadt Lübeck 1999
Pressestimmen: „Denn aus diesen fünf Prosatexten kann man ungeheuer viel über jüdisches Gemeindeleben in Oberhessen des frühen 19. Jahrhunderts lernen: über die Einhaltung von religiösen Geboten, Speiseregeln, Gebetsrituale, traditionelle Kleiderordnung, Geschäftsmoral oder jiddischen Volkston – alles stets erläutert für das nichtjüdische Zielpublikum. Besonders wird die Spannung zwischen Tradition und Reform in der Erzählung „Raaf`s Mine“. Es ist die Geschichte der Rabbinertochter Mine, die dem jungen Talmudschüler Henoch zu einem moderneren Studium verhilft. Irgendwann kehrt er heim, um „talmudische Bildung mit humanistischer“ zu verbinden, also den alten „Kultus des todten Buchstabens“ zu überwinden. Die Neugierde und Offenheit, mit der ihn seine Gemeinde annimmt, verdient auch dieses mit schönen Holzstichen von Moritz Daniel Oppenheim ausgestattete Buch vom heutigen Leser.“
(Alexander Kosenina, Literaturen)
„Eine großartige Entdeckung ist dieses 1908 zum letzten Mal in deutscher Sprache herausgebrachte Buch vor allem für die Nordhessen. Mosenthals Erzählungen spielen in und um Kassel an real benannten Schauplätzen. Es ist eine Wonne, in Gedanken durch ein vertrautes lebendiges Kassel, wie es die Stadt vor der Kriegszerstörung gab, zu laufen. Seiner Geburtsstadt und ihrer Region hat Mosenthal damit ein Denkmal gesetzt wie es liebenswürdiger nicht sein kann.(.)
Ein absolut lesenswertes Buch, herausgegeben von einer Frau mit Scharfsinn.“(Christina Hein, HNA)
- Veröffentlicht am Montag 23. Dezember 2024 von Wallstein
- ISBN: 9783892442011
- 224 Seiten
- Genre: Belletristik, Hauptwerk vor 1945