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Oswald von Wolkenstein (1376/78-1445) gilt als der berühmteste deutschsprachige Lyriker des späten Mittelalters. Er entstammte der Südtiroler Adelsfamilie Vilanders und Wolkenstein und lebte ab 1417 mit seiner Gattin Margarethe von Schwangau auf der Burg Hauenstein am Schlern, die er nach heftigen Streitigkeiten, die ihn auch ins Gefängnis brachten, erkämpft hatte. 1411 hatte er für sich und zwei Knechte das Wohn- und Unterhaltsrecht im Kloster Neustift erworben und war seither auch in bezahlten Diensten des Bischofs von Brixen. Das Konstanzer Konzil (1414-1418) gab seinem Leben eine besondere Wende: Der dort anwesende König Sigmund nahm ihn am 14. Februar 1415 für 300 Gulden Jahressold in seine diplomatischen Dienste, was den streitbaren Haudegen bei seinen Auseinandersetzungen mit dem Landesherrn Herzog Friedrich stärkte. Er bereiste ganz Europa, wobei er die Ehrungen durch die Königinwitwe Margerita de Prades in Spanien und durch die Gemahlin Karls IV. von Frankreich in seinen Liedern als die Höhepunkte seines Lebens schildert. 1431 finden wir ihn auf dem Reichstag von Nürnberg, wo ihn der König in den von ihm gegründeten Drachenorden aufnahm. Mit dem Kanzler des Königs war er auch auf dem Konzil von Basel, denn damals wurde jedes Konzil zur Hälfte von weltlichen Adeligen beschickt. 1434 ernannte ihn der König zum Beschützer von Neustift, wo er nach seinem Tod am 2. August 1445 auch beigesetzt wurde.
Die 133 Gedichte Oswalds, großteils mit Melodien, also Lieder, umfassen alle Themen der spätmittelalterlichen Lyrik, wobei in mehreren Texten der Einfluss des Mönchs von Salzburg unverkennbar ist. So hat der Südtiroler auch geistliche Lieder geschrieben und sogar lateinische Sequenzen übersetzt, was schon deswegen nicht verwunderlich ist, weil er ja im Kloster Neustift bei Brixen die Liturgie und die Kirchenmusik kennen gelernt hat. Und man konnte ja nur in einem Kloster, in einer bischöflichen oder fürstlichen Kanzlei schreiben und lesen lernen. Berühmt ist Oswald aber durch seine autobiografischen Lieder und durch seine Reiselieder geworden, die es vorher nicht gegeben hat. Die Selbststilisierung des »Ich Wolkenstein« ist einmalig. Die umfangreiche Liebeslyrik spannt den Bogen von den Tageliedern, herkömmlichen Liebesliedern bis zu den Liedern für seine »Gret«, Margarethe von Schwangau.