Fischer in Frankfurt

Karriere eines Außenseiters

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Die politische Karriere Joschka Fischers ist ein gesellschaftliches Crossover, wie dieses Land kaum ein zweites kennt: vom sozialen Außenseiter zum Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Werdegang in eine Spitzenfunktion des Staates ist mindestens so erklärungsbedürftig wie die Existenz von Fotos, die mit dem Bild eines Ministers nicht in Einklang zu bringen sind. Eine solche Karriere, die in früheren Jahrzehnten undenkbar gewesen wäre, wirft zahlreiche Fragen auf, die manche nicht einmal gestellt, geschweige denn beantwortet haben.

Doch Fischer ist weder eine gespaltene Persönlichkeit noch eine Charaktermaske, deren Wesen sich hinter ihren jeweiligen Maskeraden verbirgt. Er vereinigt ganz heterogene Eigenschaften, die zwar mit einem erheblichen Widerspruchspotential ausgestattet sind, dennoch aber nicht auseinanderzufallen scheinen. Er personifiziert zwei ganz unterschiedliche Seiten der bundesdeutschen Geschichte: auf der einen Seite den Bruch mit der NS-Generation, den Angriff auf den Staat und die Ablehnung des Parlamentarismus, auf der anderen Seite die Vitalität des parlamentarischen Systems, die Integrationsfähigkeit des Parteien- und die Relegitimierung des Verfassungsstaates. Dazwischen liegen rund dreißig Jahre, Jahre der Abrechnungen, Kämpfe und Konflikte, aber auch solche der Veränderung, Entspannung und Aussöhnung.

Fischer fokussiert wie kein zweiter beide Tendenzen in ihren jeweiligen Extremen. Der Aktionist vergangener Tage ist nun die Person gewordene Versöhnung und Teilhabe. Gerade das macht ihn bei einem Teil seiner ehemaligen Weggefährten so verhaßt. All jene, die auf Desintegration, Antistaatlichkeit und Konfrontation setzen, versuchen ihn zu entlarven, vorzuführen und auszumanövrieren.

Insofern vereinigt Fischer in sich die Rollen eines Generationenkonflikts und hebt diesen zugleich auch wieder auf. Durch den Versuch, ihn auf seine militant antistaatliche Phase als den ‚wahren‘ Fischer festzulegen, wird seine und stellvertretend die von seiner Generation vollzogene Integrationsleistung diskreditiert. Die Folgen könnten unübersehbar sein.

Der Historiker und Politologe Wolfgang Kraushaar analysiert die Außenseiterkarriere, indem er sie in wichtigen Aspekten entpersonalisiert. Er beschreibt den historischen Kontext, aus dem die Stationen von Fischers politischer Biographie zu begreifen sind – die antiautoritäre Revolte, die Sponti-Szene mit Daniel Cohn-Bendit, den Frankfurter Häuserkampf und den Konflikt um die Durchsetzung des realpolitischen Flügels bei den Grünen. Erst aus diesen sozialen und kulturellen Zusammenhängen gewinnt die Person des Außenministers ihre Kontur.

Zum Autor:

Wolfgang Kraushaar, Dr. phil., geboren 1948, studierte Politikwissenschaft, Philosophie und Germanistik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. 1974/75 war er AStA-Vorsitzender und arbeitet seit 1987 als Politikwissenschaftler und Historiker am Hamburger Institut für Sozialforschung.