Franken – eine deutsche Literaturlandschaft

Epochen - Dichter - Werke

von

Hermann Glaser: Franken. Eine deutsche Literaturlandschaft. Epochen, Dichter, Werke. Gunzenhausen [Schrenk- Verlag] 2015,
ISBN 978-3924270667, 581 S. geb., 18,4 x 24,8 cm, 65 €

Hermann Glaser ist ein Erzähler, dessen narrativer Unterhaltsamkeit seine so breit angelegte wie tief grabende wissenschaftliche Kompetenz nicht im Wege steht, ein „narrator doctus“ mit eigener literarischer Qualität. Hermann Glaser muss dies längst nicht mehr beweisen, dazu ist sein bisheriges Oeuvre groß genug, aber mit zunehmendem Alter bereitet es dem früheren Nürnberger Kulturreferenten offen¬bar Freude, den in der kulturpolitischen Weite geschulten Blick wieder auf das Naheliegende zu konzentrieren, und für den überzeugten Franken ist das nun einmal die regionale Heimat. Diese Konzentration ist keine Beschränkung. Dem Fokus auf die Nähe stellt Glaser einen 350seitigen Teil voran, der in gängiger Epochen-Gliederung deutsche Literaturgeschichte beschreibt, freilich immer auf der Suche nach „Leitfiguren“ und mit den eigenen intellektuellen, zitatgestützten Bewertungen, die Glasers Arbeiten seit je auszeichnen. So konzentriert er die Aufklärung auf das Streben nach der besten aller Welten, die Romantik als „Suche nach dem Wesensgrund“ und den Expressionismus als Hoffnung des „lichtlosen Prometheus“ auf den neuen Menschen. Jedem Kapitel ist zudem ein „Glossar“ angefügt, das wesentliche Autoren – gewürdigte und zu kurz gekommene – biographisch vorstellt.

Schwieriger wird die Aufgabe beim zweiten Teil, bei dem Glaser gleich zu Beginn zugibt, dass die „Herausarbeitung dessen, was jeweils als essentiell fränkisch sich zeigt“, keine klaren Kriterien, keine eindeutige Zuordnung erlaubt. Vollständigkeit ist ohnehin nicht Glasers Anliegen, obwohl er unter den fast 1.500 im Namensregister aufgeführten Dichtern über 160 Franken mit Lebens- und Werkdaten hervorhebt. So fehlt Christine Neudecker (die schon beim Erlanger Poetenfest neben Glaser gelesen hat) und kommt Richard Wagner nur deshalb zur Ehre der regionalen Zuordnung, weil er Hans Sachs auf die Bühne gehoben hat. Aber es geht dem Autor eben nicht um eine Aneinanderreihung von Biographien. Vielmehr verfolgt er sichtlich die durchaus politische Absicht, gegen die „überhebliche Ignoranz gegenüber Franken, die man etwa im Süden Bayerns oft antrifft“, anzuschreiben, was ihm auf dem 1.000 Jahre langen Weg von Ezzo bis Enzensberger und Wollschläger mehr als überzeugend gelingt.

Zum Leseerlebnis wird das zwei Kilo schwere Werk nicht nur durch Glasers narrative Kompetenz, sondern auch durch seinen Aufbau. Gerade im fränkischen Teil steht die Literatur immer im Kontext der lokal agierenden, oft aber europäisch bedeutsamen Geschichte. Hinzu kommt eine reiche Auswahl an Bildern, deren Bezüge zu Landschaft und Literatur jeweils treffsicher erläutert werden. Raum dafür bietet ein Randstreifen auf allen Seiten, der dem Buch nicht nur Layout-Gestalt gibt, sondern auch die Illustrationen mit dem Text vernetzt. So erscheint das „Nürnberger Friedensmahl“, das die Exekution des Westfälischen Friedens zur geselligen Völlerei machte, als historisch bedeutsames Spektakel, präsentiert dazu Rathaus und Ratssaal als Orte von europäischer Relevanz und zitiert die lyrische Zusammenfassung der Speisenfolge: ,,Was Jäger auf der Bahn / was Vogler auf dem Heerd / was Fischer in dem Kahn / dem Wald / der Luft / der Flut mit Netzen abgestricket / wird zu der Glut / von dar zur Taffel überschicket.“ (von Harsdörffers Kollegen Johann Klaj).

Wie bei jeder Literaturgeschichte wird es in der Gegenwart besonders schwierig, wo die Auswahl nur bedingt durch die historisch erwiesene Bedeutung legitimierbar ist. Trotzdem – oder gerade deshalb –zeigt sich Glasers Griff in die fränkische Moderne als treffsicher, weil er sich nicht auf Autoren beschränkt, die anerkannt zu festen Größen fränkischer Mundartdichtung geworden sind (wie Fitzgerald Kusz oder Helmut Haberkamm), sondern immer wieder darauf hinweist, wie vielschichtig der Heimat-Bezug bei den fränkischen Autoren ist. Der Erlanger Ernst Penzoldt schrieb über seine winterliche Heimatstadt: „Die Stadt sah ein wenig lächerlich aus. Alle Würde schien ihr genommen, selbst ihren vielen Kirchen, denen weiße Hauben verwegen ins Gesicht rutschten …“ Der Arbeiterdichter Karl Bröger, der sein Nürnberg als „ein mächtiger steinerner Lobgesang“ sah, geriet in seinem literarischen Bemühen, Sozialdemokraten vom Ruf „vaterlandsloser Gesellen“ zu befreien, in die Gefahr nationalsozialistischer Vereinnahmungsversuche, was ihn jedoch nicht vor dem Konzentrationslager bewahrte.

Als heile Welt erscheint Franken in Glasers Darstellung ohnehin nicht. „Der Provinzler Hitler fühle sich im fränkischen Provinzialismus besonders wohl“, merkt er an und zeigt am Beispiel von Kuni Tremel-Eggert, wie Heimatkitsch auch politisch fatal wirken kann.

Was wäre noch alles zu nennen: Jakob Wassermann, Ewald Arenz, Ludwig Fels, Kevin Coyne und Godehard Schramm, Wolf Peter Schnetz, Inge Meidinger-Geise, Habib Bektas, Tanja Kinkel, Eugen wie Nora Gomringer …

So viele wären zu nennen, denen Glaser Raum, Profil und Wertschätzung gibt. Aber diese vielfältige Annäherung an die fränkische Literaturlandschaft erfordert dann doch die eigene Lektüre des Buches –ganz im Sinn von Glasers doppeldeutiger Schlussaufforderung: ins Land der Franken zu fahren, denn „hier liegt der Himmel näher an der Erde“.

Dieter Rossmeissl, in: Frankenland, H. 4, Dez 2017, S. 269-271