Klaus Theweleit, Friendly Fire. Freundliches Befeuern, Friendly fire, unter diesem mehrdeutigen Titel versammelt Klaus Theweleit Texte, Auftragsarbeiten, die in den letzten sechs, sieben Jahren aus ganz verschiedenen Anlässen entstanden sind. „Friendly fire“- das könnte, so Theweleit, eine Definition des Schreibens sein, sofern es auf ein freundliches Befeuern durch Worte hinweise. Andererseits besagt der Ausdruck in militärischem Zusammenhang: Man wird umgelegt von den eigenen Leuten, scheinbar wie aus Versehen. Um mehr oder weniger freundliches Feuer geht es also: Etwa um die Funken in der Musik Bob Dylans und um die Reaktionen auf diese Musik. Oder es geht um die Schwelbrände, die allerorten im Bereich des Politischen, aber auch in den Beziehungen unter „Privatmenschen“ wahrnehmbar sind. Der neue Band ist wieder eine Art Seitensprung aus seinem umfassenden Projekt, dem „Buch der Könige“, und das Beiseitespringen ist ja ohnehin Theweleits Methode beim Schreiben. Er bleibt sich also selbst treu; behandelt auch hier seine Themenkomplexe in der für ihn typischen Weise. Er schreibt absolut unökonomisch – aber lieber möchte man sagen: Er schreibt verschwenderisch aus einer Fülle von Einzelbeobachtungen. Theweleit arbeitet wie üblich, also mal irritierend in seiner Sprunghaftigkeit, mal in eben dieser Sprunghaftigkeit erstaunenswert produktiv; er arbeitet erfreulich unorthodox, hellsichtig, und besessen. Er hat es ja auch – auch – mit so oder so Besessenen zu tun. Oder soll man es etwas schlichter eine „pervertierte Logik“ nennen, wenn US-amerikanische Militärärzte die Kampfpiloten vor ihren Einsätzen mit Dosen von Amphetaminen vollpumpen, für die jedem LKW-Fahrer die Fahrerlaubnis entzogen würde? Oder soll man sagen, der Logik des Krieges folgend sind solche Verfahren nur extremer Ausdruck der Normalität? Eine andere Form der Besessenheit, sprich, der verzerrten, verengten Wahrnehmung von komplexer, verzweigter Wirklichkeit sieht Klaus Theweleit wirksam werden, wo es um die sogenannte „horizontale Kollaboration“ geht. Er bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Ebba Drolshagens Buch über „geschorene Frauen“; dort schildert Drolshagen das Schicksal von Frauen in besetzten Ländern, die Wehrmachtssoldaten liebten. Wie kam es, dass, etwa in Frankreich, die vor den Alliierten flüchtenden Nazis aus dem Blickfeld gerieten und man stattdessen der „Volksjustiz“ an den Frauen ihren Lauf ließ? Was ist das für eine nebulöse Aussage, einem “Volk“ werde „moralischer Schaden“ zugefügt? Und warum funktioniert ein so ganz unterschiedliches Wahrnehmen desselben Vorgangs: Eine Frau schläft mit einem Mann. Gehört der Mann zu den siegreichen Besetzern und sie zu den Besiegten, die ihre Kultur verlässt und sich ihm hingibt, – siehe Pocahontas – so entsteht der Mythos eines neuen „Bundes“, so ist sie Heldin. Siegt der Besatzer dagegen nicht, wird er vertrieben, so ist sie diejenige, die „ihr Land“ verrät, so macht sie sich der Kollaboration schuldig. Wem gehört die Frau? Die öffentliche Rede weiss Vieles über die Vorteile, die Frauen aus der Beziehung zu einem zunächst siegreichen Besetzer gewinnen konnten. Von „Liebe“, diesem rätselhaften Zustand, der sich um kein Aussen schert, weiss sie nicht. Noch beunruhigender ist: Die offizielle Rede fragt zwar nach der „sexuellen Kollaboration“, nicht aber nach der politischen Kollaboration, z.b. der der Vichy-Frauen aus der bürgerlichen Führungsschicht Frankreichs. Wieder anders „besessen“ als die Vollstrecker eines „heiligen Volkszorns“ ist der unheilige Maler Balla W. Hallmann, der 1968 eine Drogenpsychose von einem Aufenthalt im San Fransisco zurück nach Deutschland mitbrachte. Seine Hitlerbilder, die in den Jahren um 1990 entstanden, sind eine wütende Mischung aus Religiösem, Militärischen, Pornographie, Politik, Mythologie und Comic. Theweleit sagt, Hallmann „demaskiert“ Hitler nicht, vielmehr maskiert er ihn mit notwendigen Details. Zu Hitler gehört daher mindestens Bambi, das Unschulds-Reh, sprich, die alten und neuen harmlosen Deutschen, die bis heute ganz mit sich im Reinen sind in ihrer, so Theweleit, „aggressiven Wirklichkeitsverkleisterung“. In diesem Zusammenhang kritisiert er sehr einleuchtend den Film „der Untergang“, in dem einmal mehr die fundamentale Übereinstimmung von Hitler mit den Deutschen unkenntlich gemacht werde: Hier der rasende Dämon, da die Bevölkerung, die „Vernunft bewahrt“. Das Unkenntlichmachen des Konsenses zwischen Hitler und der Bevölkerung, so Theweleit, müsse als tendenziell eliminatorisches Verfahren klar unterschieden werden von dem Verfahren des „Übermalens“. Denn beim Übermalen geht es im weitesten Sinne ums Verwandeln, es geht um Metamorphosen. Ein anderer Beitrag in „Friendly fire“ zeigt, wo der Maler Paul Cézanne seine Anleihen machte, etwa bei Vernonese. Da ist sein Bild vom Gastmahl in Emmaus, auf dem Jesus im Kreis seiner Jünger das Brot bricht und segnet. Der praktizierende Katholik Cézanne greift Elemente, genauer, er greift den Mittelpunkt aus Veroneses Komposition heraus, er „übermalt“. So sitzen also in derselben Haltung wieder Männer um einen Tisch. Nur, sie brüten jetzt andächtig über Karten, diesen Gebetsbüchern des Teufels. In einem verwandten Bild hat der Blasphemiker Cézanne die Figur des Jesus ersetzt, er hat sie verwandelt in eine Weinflasche. Nicht alle Beiträge, die „Friendly Fire“ versammelt, hätten unbedingt noch einmal veröffentlicht werden müssen: Die Gespräche/ Texte zum Fussball oder zu Carl Barks, dem Erfinder des Kosmos Entenhausen haben die Rezensentin nicht vom Stuhl gerissen. Ein Gespräch mit Noam Chomsky verläuft reichlich wirr; es ist für beide Seiten wie für den Leser ziemlich peinlich – hier ein irritierend arroganter Chomsky, da ein irritierend beflissener Theweleit -. Und es bringt wenig mehr als die berechtigte wie bekannte Kritik an einem unter Intellektuellen weit verbreiteten Phänomen: Vollmundige Unabhängigkeitsbehauptung bei gleichzeitiger Machtunterwerfung. Weiter: Der Abriss zur musikalischen Sozialisation Theweleits und seine Erinnerungen an Bob Dylan sind – variiert – schon in anderen seiner Bücher aufgetaucht. Es ist schwierig, über prägende musikalische Erfahrungen zu schreiben, ohne dabei in Heldengesänge auszubrechen oder der Musik zuviel Theorie aufzubürden. Aber bei den Texten zur Musik hat man einmal mehr den Eindruck, hier findet ein vielstimmiges Gespräch statt. Natürlich führt es manchmal auf Nebengleise, und manchmal tritt es auf der Stelle. Trotzdem: Dieses Gespräch hat den Charakter des Nachspürens. Es sucht mehr, als dass es findet und fest-stellt im Sinne des Festsetzens. Vielleicht ist es hier gerade das Nichtzurandekommen, das Unstimmige und Unfertige, das einen berührt. „Friendly fire“, diese Textmasse von 430 Seiten, ist ein immenses Materiallager. Theweleit betrachtet und kommentiert wieder so ziemlich alles zwischen Himmel und Erde, Spirituelles und Prosaisches, den Briefwechsel Gottfried Benn – Ursula Ziebarth, die Folter im US-Gefängnis Abu Ghraib und die Anfänge des Video-Clips. Dass das Buch nicht auseinanderfliegt, hängt mit seinem selbständigen, eigenartigen Interesse zusammen: Aus der Mischung unterschiedlicher Themen ergibt sich eine für diesen Autor spezifische Einheit; sofern Theweleit diverse Phänomene gewissermassen zwischen den Zeilen liest. Seine Wahrnehmungen und Beobachtungen folgen nicht den laufenden Rhythmen des je Aktuellen. Daher bedienen sie diese Rhythmen auch nicht. So werden immer wieder unverhofft Erkenntnisschübe freigesetzt.
- Veröffentlicht am Freitag 8. November 2024 von Stroemfeld
- ISBN: 9783878779407
- 300 Seiten
- Genre: Belletristik, Lyrik