Fundorte

Gedichte

von

Horst Dieter Rauh stellt die vorliegende Auswahl seiner Gedichte aus vier Jahrzehnten unter den Obertitel „Fundorte“. Gelingende Dichtung ist im-mer ein Finden und inspiriert sich an „Orten“, an Zuständen unseres Da-seins, wo plötzlich Unerwartetes aufscheint. „Wahre Gegenwart“ (vraie présence) nannte der Dichter Yves Bonnefoy solches Ereignis: die Wirk-lichkeit zu transformieren, ist Privileg des Dichters.
Die Fundorte Rauhs sind alltägliche Situationen, Natureindrücke, Begeg-nungen mit Kunst und Literatur; sie können gegenständlich, doch auch symbolisch sein. Durch einen Vorgang kreativer Reflexion wird aus dem Fundort ein Fund, aus dem Gedicht ein Moment der Erhellung, sogar ein Ort der Wahrheit. Wobei der Finder stets auch Erfinder ist. Dichterische Wahrheit ist kein blanker Gegenstand, sondern Ereignis, Erscheinung. Sie arbeitet mit Sinnbild und Anspielung, hüllt sich in Zeichen, soll für den Le-ser zu einem persönlichen Fund werden.
Wörter können ganz neue Blicke auf die Welt bewirken, wie Wilhelm von Humboldt beschrieb: „Daß Sprachen nicht ein Mittel sind, die schon er-kannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr die vorher unbekannte zu entdecken“. In seiner Lyrik ist Rauh innovativ auf solche Entdeckungen aus – in einem weiten Spektrum von Themen und Tönen. Seine Gedichte zeigen, daß es neben der philosophischen Einsicht auch eine poetische gibt.