Gesammelte Briefe. 6 Bände

Band V: Briefe 1935–1937

von

»Die Frage des Aufenthalts im Kriege die Sie anschneiden, ist darum schwer zu beantworten, weil ich kaum damit rechnen kann, in solchem Augenblick, wo man wahrscheinlich ohnehin schon zu spät handelt, gewiß aber binnen weniger Stunden handeln muß, die äußere Möglichkeit zur Durchführung des mir richtig Erscheinenden zu haben. Ich kenne von meiner Nordlandreise her eine Gegend, wo das Leben hart ist, wo man sich aber gesichert nicht nur vor kriegerischen Aktionen sondern auch vor Hungersnot mit einigem Recht fühlen dürfte. Im europäischen oder mittelmeerischen Zivilisationskreis hätte ich dies Gefühl nirgends.« Im Mai 1935 antwortet Benjamin dies auf eine Frage Werner Krafts, der in Palästina lebt und die Befürchtung ausgesprochen hatte, Benjamin könne im Kriegsfälle in ein französisches KZ kommen. Benjamin aber ist zu der Zeit aus finanziellen Gründen kaum bewegungsfähig – und nur mit finanzieller Hilfe von Freunden in der Lage, sein Pariser Leben zu fristen. Und doch gelingt es ihm, die zur »Durchführung des mir richtig Erscheinenden« notwendigen Mittel zu beschaffen. Unter sehr eingeschränkten Bedingungen kann er seine Arbeit neu organisieren und.sich die Freiheit zu Forschungen erobern, sein Spätwerk werden sollten: »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« entsteht nach einem Exposé zur Passagenarbeit und findet den Beifall des »Instituts für Sozialforschung« und besonders Horkheimers, der eine relative Stabilisierung des monatlichen Budgets von Benjamin ermöglicht. Seine zunehmenden Kontakte in den Pariser Intellektuellenzirkeln lassen ihn zum inoffiziellen Repräsentanten des New Yorker Instituts werden. Horkheimer schreibt 1937, nach einem Treffen mit Benjamin in Paris: »Zum Schönsten gehören einige Stunden mit Benjamin. Von allen steht er uns weitaus am nächsten. Ich werde alles tun, was nur in meinen Kräften steht, damit er aus seiner finanziellen Misere herauskommt.«