Guter Tag, du hast mich geschafft…

...aber ich dich auch

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Ein bekanntes Gefühl am Abend – der Titel des Buches. Ein Mischgefühl zwischen ‚geschafft sein‘ und ‚geschafft haben‘. Jeder kennt es, liebt es, fürchtet es vielleicht auch, freut sich darauf. Natürlich auch die Autorin Stefanie Jerz und der Schauspieler, Bühnenmusiker und Pädagoge Andreas Krämer.
Aus dem Bewusstwerden über die Bedeutung dieses Gefühls für viele Menschen lag es für beide Künstler nahe, sich selber und auch anderen Menschen eine Möglichkeit anzubieten, sich in dieser Phase des Tages noch einmal mit sich selber, seinen Emotionen, Hoffnungen und Träumen auseinanderzusetzen.
Welche künstlerische Form ist für einen solchen Moment der Auseinandersetzung besonders geeignet? Auch hier liegt die Antwort eigentlich nahe in dem Moment, in dem wir uns an eigene Kindheit erinnern. Das Bilderbuch mit dem kurzen Text diente und dient vielen Kindern dazu, Erlebnisse des Tages noch einmal zusammen mit den Eltern zu reflektieren, Ausschau auf den morgigen Tag zu halten und auch besondere Probleme zu verarbeiten.
Doch ein Bilderbuch für Erwachsene?
Ja, ein abendliches Buch für Erwachsene hat letztlich identische Aufgaben. Über Bild oder Text gibt es dem Leser in der vornächtlichen Ruhesituation noch einmal die Möglichkeit, sich mit alltäglichen Problemstellungen und mit sich selbst auseinanderzusetzen. Oder, wie formuliert es Stefanie Jerz so eindringlich: „Kommt, lasst uns die / Welt aus den Angeln / heben, dass der / Mond uns suchen muss.“ Von Janosch bis Ende klingen hier Töne durch, die uns Lust machen, mitzumachen bei diesem Entrücken aus der realen Welt, bei der Entdeckung unserer emotionalen Verfasstheiten. Kommt dann noch Andreas Krämer mit seinen ausdrucksstarken, unsere Sinne erweiternden Bildern daher, können wir gar nicht mehr anders, als uns auf das Angebot einzulassen.
Und beide Künstler bieten dem Leser nicht ein eindimensionales Reflexionsangebot. Humorvoll, tiefste Einsicht, großer und kleiner Gedanke und, und, und – in jeder Verfasstheit finde ich einen kurzen Text und / oder ein Bild.
Schreib- und Malweise der beiden Künstler ähneln sich in geradezu atemberaubender Manier. Beide bieten keine geschlossenen Arbeiten, geben vielmehr einen textlichen oder bildlichen Anreiz, transferieren diesen in eine andere Ebene, in einen anderen Zusammenhang, doch lassen sie die Möglichkeit der Variation. Ich muss mich selber einbringen, um das textliche oder bildliche Kunstwerk zu einem Ganzen werden zu lassen. Ein Hineinfühlen, ein emotionales Erschließen, ein Abtauchen, eben ein Abheben aus der Wirklichkeit, mich dabei spürend, mich wie durch den Mond entdecken. Typisch dabei auch die von beiden benutzte Technik, bekannte Motive in eine neue Richtung zu brechen („er nahm das Wachs, / das sie in seinen Armen wurde“). Man holt den Leser ab in seiner Verfasstheit, bricht seine Emotionalität darauf in eine andere Ebene und ermöglicht so eine neue, aber in eine individuelle Geborgenheit eingebundene neue Sicht auf Wirklichkeit.
Ein unglaubliches Verfahren, zumal es Tag für Tag mit einer identischen Bild-/Wort-Kombination zu anderen Ergebnissen führt, da unsere Verfasstheit ja konstruktiv prägendes Moment des Gesamtprozesses wird.
Die formale Gestaltung des Buches (20,5 x 20,5-Format in sehr luftiger Setzweise) entspricht diesem inhaltlichen Ansatz. Eine grundlegende Konstruktion, die zwar variiert, aber letztlich identisch ist, spiegelt die Möglichkeit vielfältiger Zugriffe auf das Buch, ermöglicht zudem zahlreiche neue Sichtweisen.
Ein Buch, das einem zum lebenslangen Begleiter werden kann, ein Buch, das bald seinen festen Platz auf dem Abendtisch oder dem Nachtschrank haben wird, und zudem: Es eignet sich auch bestens für Partner, einander vorzulesen, gemeinsam die Bilder zu entdecken, so wie das gute Bilderbuch für Eltern und Kinder ein wichtiges gemeinsames Band war.