Häme als literarisches Verfahren

Günter Grass, Walter Jens und die Mühen des Erinnerns

von

Christoph König zeigt, wie Günter Grass in seinem umstrittenen autobiographischen Buch ‚Beim Häuten der Zwiebel‘ sein jüngeres Ich, von dem er in dritter Person spricht, fortwährend verächtlich macht. Wie verhält sich es sich aber mit den hier ausgesprochenen Vorwürfen und Verdachtsmomenten gegenüber dem Erzähler selbst?
Christoph König weist nach, wie Grass erzählerisch das Erinnern seinen Darstellungsinteressen unterordnet, indem er jeden denkbaren Einwand selbst vorwegnimmt. Der Erzähler vollzieht am erinnerten Ich, das er ‚Er‘ nennt, die Entnazifizierung, die sich für den Erzähler dann scheinbar erübrigt. Dadurch wird der Text aber zum Beweis einer ‚Komplizenschaft zwischen Ich und Er‘. Der Häme ist jeder, auch der eigene Versuch ausgesetzt, sich frei zu entscheiden. Grass will um nichts besser gewesen sein als seine schweigenden Zeitgenossen, und das mit guten politischen Gründen.
Eine ähnliche Strategie des Erzählens und Erinnerns findet sich auch bei Walter Jens, dessen Parteimitgliedschaft in der NSDAP für öffentliche Diskussionen sorgte. Das Verschweigen prägte nach 1945 – weitgehend unbemerkt – die Schriften von Dichtern, Germanisten und Literaturkritikern. Der ›poeta doctus‹ Walter Jens inszeniert die Protagonisten seiner Romane als Schauspieler auf einem absurden Welttheater. Ihre authentische Erinnerung bleibt dadurch gegenüber dem Absurden stets im Unbestimmten und Dunkeln.
Die Parallelität der Erzählstrategien eröffnet für beide Autoren einen Zugang zum Textverständnis in dieser schwierigen Frage.