Woran erinnert man sich, wenn man sich katholisch erinnert? An die wunderschönen Lieder in der Maiandacht? An das „Meerstern, ich dich grüße“, an das „Großer Gott, wir loben dich“ mit dem leidenschaftlichen Geklingel der Meßdiener? Ans dumpfe Gemurmel im Beichtstuhl, der in dieser Erzählung so schön „Sündenschrank“ heißt? Erinnert man sich an die zehn „Vater unser“ oder „Gegrüßet seist du Maria“, die einem als Buße aufgebrummt wurden? Oder an die Sammeltassen als Kommuniongeschenk? An die Blumenteppiche zur Fronleichnamsprozession? An die ersten Zweifel?
Ja, sie sind zwiespältig, diese Erinnerungen an die heile – scheinbar heile – Welt des katholischen „Sünderdorfes“ im Elsass. Der manchmal nachsichtige, manchmal auch bissigere Humor, mit dem Pierre Kretz, seine fromme Kindheit aufleben lässt, darf und soll nicht täuschen. Wir lächeln, wenn wir lesen, daß Peugeotfahren „evangelisch“ ist – und Renaultfahren „katholisch“. Wir lachen, wenn eine unverhoffte Pilzschwemme am Wegrand als „Pfingstwunder“ erlebt wird, wir runzeln die Stirn, wenn der Herr Pfarrer immer öfter und immer dringlicher sich erkundigt, ob der zwölfjährige Bub denn noch immer nicht Jesu Ruf zum Priestertum spürt – und atmen wieder leichter, wenn der Sechzehnjährige ganz allmählich Abstand gewinnt zu den quälenden Gewissenserforschungen des Beichtspiegels, der Unfrohbotschaft der Todsünden, des Fegefeuers, der Askese.
- Veröffentlicht am Montag 30. August 2010 von Klöpfer & Meyer
- ISBN: 9783940086860
- 172 Seiten
- Genre: Belletristik, Gegenwartsliteratur (ab 1945)