Nur wer sich den Ostblock des Jahres 1959 – sechs Jahre nach dem Aufstand in der DDR, drei Jahre nach der Vernichtung der Aufständischen in Ungarn – mit seinen kommunistischen Diktaturen vorstellen kann, vermag zu ermessen, was es für eine 17 Jahre alte Schülerin in Rumänien bedeutete, mit einem einzigen Gedicht ein staatliches Schreibverbot auferlegt zu bekommen. Der Deckname Ana Blandiana hatte Otilia-Valeria Coman, die Tochter eines Geistlichen in Temeswar, nicht geschützt. Doch die Securitate machte damit aus der Schülerin eine geheime Volksheldin, die nach eigenen Worten „als verbotene Dichterin bekannt wurde, noch ehe sie zur Dichterin geworden war“. Zahlreiche Gedicht- und Prosabände mehrten ihren Ruf, den auch insgesamt drei Schreibverbote nicht zerstören konnten. Vor und nach dem Sturz der Diktatur im Dezember 1989 war Ana Blandiana geradezu die geborene Hoffnungsträgerin für ein demokratisches Rumänien, in dem sich allerdings so manche Herren des alten Regimes festkrallten. Mitte der neunziger Jahre hatte sie die Chance, Staatspräsidentin zu werden und die Kette der der Freiheit verpflichteten Dichterpräsidenten – Václav Havel in Prag, Árpád Göncz in Budapest – bis nach Bukarest fortzuführen. An persönlichem Mut hatte Ana Blandiana den beiden Männern in den Jahren zuvor nicht nachgestanden. Doch sie setzte eine andere Priorität und gründete das Memorial Sighet. In einem ehemaligen Gefängnis entstand die wichtigste Forschungsstätte für die Zeit des Kommunismus in Rumänien. Ana Blandiana veröffentlichte bisher 48 Bücher und wurde in 24 Sprachen übersetzt. Georg Paul Hefty, F.A.Z.
- Veröffentlicht am Dienstag 5. Juni 2012 von Edition Noack & Block
- ISBN: 9783868130102
- 128 Seiten
- Genre: Belletristik, Essays, Feuilleton, Interviews, Literaturkritik