„Welche Möglichkeiten hat man schon als Jugendlicher, sich von den Alten abzusetzen, Gleichgesinnte zu identifizieren? Das Naheliegendste: Outfit und Musik. Vorzugsweise eine, die sogar für Rock ´n´ Roll-sozialisierte Eltern kaum genießbar ist. Und sei es nur aufgrund der Taktfrequenz und der Position des Lautstärkereglers. Begeistern sich ein paar Leute mehr für die neue Musik, Mode, Action, erleben wir soeben die Geburtsstunde einer neuen Jugendkultur. Und bald darauf ihren Ausverkauf.“
Aus dem Inhalt: Zum Beispiel: Techno, HipHop, Punk. / „Warum darf Michael Jackson nicht seinen Affen ficken?“ Ina Deter und Lemonbabie Diane Weigmann im Gespräch. / Klaus N. Frick erklärt den Punk, Aziza-A den HipHop. Karl Nagel richtet freundliche Worte an Trendagenturen. Fluchtweg berichten vom Punk im Osten.
„Klaus Farin ist keiner, der die Kultur der Jugendlichen zwischen 12 und 40 mit (vorschnellen) Urteilen zusammenrastert. Auch die tiefsinnige Analyse mit kulturwissenschaftlichem Anspruch ist seine Sache nicht unbedingt. Trotzdem ist er ein Fachmann, dem keiner so schnell etwas vormacht. Sein Metier ist das Zuhören können, das Nachfragen, das unzensierte Weitergeben jugendlicher Standpunkte. Er ist Sammler. Sein Jagdrevier sind Jugendtreffs, Szenekneipen, Backstageräume und Konzerte, seine Beute sind O-Töne. In diesem Buch kommen vor allem Jugendliche zu Wort, die sich den Szenen HipHop, Punk, Techno und Independent zurechnen. Die O-Töne werden weitgehend unkommentiert gegeneinander, ineinander oder nebeneinander gestellt. Was herauskommt, ist eine journalistische Collage, die sich von der ersten bis zur letzten Seite hervorragend lesen, nicken, kopfschütteln, und nie kalt lässt (hervorragend die neben den Text gestellten Fotos und Hintergrundinformationen zu den Erzählenden).
Vorteile und Nachteile hat solch eine Vorgehensweise: Vorteilhaft ist die Direktheit der Statements, welche einen ungefilterten Ausschnitt jugendlicher Lebenswelten präsentiert. Das Interpretieren der Standpunkte bleibt dem Leser überlassen ebenso wie eventuelle Schlussfolgerungen aus dem Gelesenen. Nachteilig ist dieses Buch vor allem für jene Zeitgenossen, die nach fertigen Antworten suchen. Nein, das Denken will uns Farin nicht abnehmen. Auch Perspektiven werden uns nicht aufgezeigt: Was denn momentan im Trend liegt, was denn nun „authentische“, was „kommerzielle“ Jugendkulturen sind.
Eins wird klar: Neben dem Problem abnehmender Bedeutung traditioneller Sozialisationsinstanzen wie Familie, Kirche, Parteien und Milieus ist es vor allem die „forever young“-Mentalität der 35-50-Jährigen, die ihre Kinder sich in immer neue Subkulturen zurückziehen lässt. Denn Jugendliche wollen und müssen anders sein als ihre Elterngeneration, sich abgrenzen. was in einer dem Liberalismus verpflichteten Gesellschaft ein höchst schwieriges Unterfangen ist. Wo es dennoch gelingt, lauert die nächste Falle: die Industrie. Je höher der Spezialisierungsgrad einer Jugendkultur, desto höher die Wahrscheinlichkeit kommerzieller Vermarktung.
Im Sonderteil des Buches, Musik und Rebellion überschrieben, findet der Leser Statements zu diesem Thema von Musikern, Szene-Aktivisten, Musikkritikern und Fanzine-Machern. Ein Artikel lässt ausschließlich Musikerinnen zu Wort kommen, andere widmen sich der Funktion des Publikums, dem Songschreiben und der Bedeutung von Grenzen und Zensur. Gerade in den letztgenannten Artikeln findet man spannende Statements.
Fazit: Ein Buch, das für den unverzichtbar ist, der an O-Tönen aus jugendlichen Subkulturen interessiert ist, an diese jedoch aus Mangel an Gelegenheit nicht selbst kommt. Für alle anderen: spannend zu lesen und trotzdem informativ.“
Thomas Feist in: www.crossover-agm.de
Es ist wirklich ein eigenartiges Gefühl, wenn man sich so über die Zeilen hindurchliest und die bittere Erkenntnis machen muß, wie wenig man doch über diese oder jene Kultur Bescheid weiß, auch wenn man sich vielleicht zu einer dieser seit Jahren überzeugt bekennt. Nicht nur geschichtliche Hintergrundinformationen füllen unsere eventuellen Wissenslücken auf, Klaus Farin zeigt zudem die klaren Beziehungen der Kultur zur Politik und zum Kommerz. Wie zum Beispiel die Industrie maßgeblich an der Beeinflussung des kulturellen Verhaltens von Jugendlichen beteiligt ist, wie sie auch eigene, künstliche Kulturen erschafft, zum Beispiel Streetball, die adidas-Schöpfung. Es ist eine Beschreibung darüber, wie die Industrie Kulturen nach ihren Interessen formiert und vermarktet. Lange Rede, kurzer Sinn: das Buch ist ein Muß für uns alle!
Sidar Demirdögen in: junge Stimme Nr. 13