Kontakttagebuch

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Die Pandemie hat die Welt erfasst, also auch unsere Autorin. Das im November 2019 erstmals in China aufgetretene Corona-Virus Sars-COV-2 bestimmt seitdem nicht nur das Regierungshandeln, sondern bis in kleinste Verästelungen auch das Verhalten, Denken und Fühlen der deutschen Bürgerinnen und Bürger, also auch das unserer Autorin. Da Kontaktbeschränkungen und Selbstisolierung nicht nur der Kranken, sondern aller Menschen mangels wirksamer Behandlungsmethoden und (noch) nicht erfolgter Impfungen als einziges Mittel gelten, um die Menschen vor der gefährlichen Lungenkrankheit mit unabsehbaren Langzeitfolgen zu schützen, kann sich niemand dem Kontakt-Entzug entziehen. Ob dieser schlimmere Folgen auf Wirtschaft, Demokratie und Gesellschaft sowie auf Seelen und Körper der einzelnen haben (werden), weiß niemand, doch genau diese Frage drängt sich der Autorin täglich auf, während sie sich den Maßnahmen unterwirft. Sie kann sich der bangen Frage nicht erwehren, ob in der totalen Pandemie“bekämpfung“ die größere Gefahr für die allgemeine und individuelle Gesundheit liegt als in der Viruserkrankung. Schulen und Geschäfte werden geschlossen, Reisen untersagt, Sterbende bleiben allein, der Umgang miteinander erfolgt unter dem neuartigen „pandemischen Imperativ“. Der moralische und durch zig Verordnungen verstärkte Befehl lautet, sich selbst und alle anderen als infiziert bzw. krank wahrzunehmen und sich entsprechend krank (distanziert) zu verhalten.

Virologen empfahlen, ein „Kontakttagebuch“ zu führen, um etwaige gefährliche Begegnungen, in denen es an Abstand und Schutzmaske fehlte, zur eventuellen „Nachverfolgung“ im Falle einer Infektion rekonstruieren zu können. Katharina Körting hat den Vorschlag aufgegriffen. Im Oktober und November 2020 führte sie ihr Kontakttagebuch. So entstand ein Dokument, das dem Wust an Zahlen, Todesstatistiken, bürokratischen Sprachverrenkungen und scheinbar alternativlosem Einschluss (vulgo: Lockdown) das subjektive Erleben und Fragen entgegenstellt. Es ist ein Versuch, Kontakt zu halten. Die Infektions- und Todeszahlen sind dabei ständige Begleitmusik, stehen aber nicht im Mittelpunkt. Die Autorin wehrt sich gegen die pandemische Vereinnahmung, indem sie das wahrnimmt, was eigentlich zu unterdrücken ist: die Bedürfnisse von Körper, Geist und Seele.