Kontrollgesellschaft ausser Kontrolle

Perspektiven kritischer Theorie im Zeitalter der Globalisierung

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Allerorts wird die Lähmung, die „blockierte Republik“ beklagt. Doch bisher ist der erhoffte Ruck ausgeblieben. Die Verhältnisse seien aber auch schwierig, heißt es fast täglich in den Medien, und die fetten Jahre seien vorbei. Sind die Verhältnisse allerdings tatsächlich so diffizil, dass man trotz der Massenarbeitslosigkeit gleich die Arbeitszeit verlängern muss? Dass angesichts einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Explosion der Weltbevölkerung Bücher über die angeblich drohende Überalterung der Gesellschaft zu Bestsellern werden? Dass man für die Menschenrechte foltern muss? Solchen Fragen, die zugleich die bezeichnenderweise heute so typischen Paradoxien andeuten, ist der Autor in seinem fesselnden Buch nachgegangen.

Wir sind gegenwärtig Zeugen eines gewaltigen Umbruchs, der sich in der so genannten Globalisierung und der Entwicklung zur postfordistischen Wissens- bzw. Informationsgesellschaft manifestiert. Mindestens ebenso bedeutungsvoll scheint der Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft im Sinne Deleuzes zu sein; Antonio Negri und Michel Hardt nannten dies zuletzt „Empire“. Ausgehend vom Versuch einer Neuformulierung Kritischer Theorie macht Jürgen Riethmüllers Buch all dies als einen Prozess sichtbar, dem eine Ursache zugrunde liegt: die beginnende Virtualisierung des Kapitals, also seine zunehmende und globale Abkopplung von der Produktion, immer auf der Jagd nach der noch größeren Rendite.

Fundiert und kenntnisreich untersucht der Autor anhand einer Fülle stichhaltiger Referenzen aus Philosophie, Medientheorie, Kunst, Politik und Wirtschaft diese Transformation und untermauert sie durch realitätsnahe und prägnante Beispiele. Angesprochen werden unter anderem Aspekte wie der „rasende Stillstand“ (Virilio), die Auflösung von linguistischer Bedeutung als bisher abstraktester Form der Entfremdung, der Weg des Neoliberalismus „an die Macht“, das Zeitalter der Angst, die gegenwärtigen Verschiebungen auf dem Feld der Arbeit, der Populärkultur, des Gesundheitsmarkts, die digitale Revolution, ja sogar die Liebe. Jürgen Riethmüllers Hauptthese: Die zahlreichen Paradoxien, über die fast alle Beobachter der Moderne seit je klagten, kommen nicht von ungefähr: Mit dem kulturell induzierten Ende der Dialektik fügen sich die sozialen Antagonismen immer häufiger zur Aporie. Mögliche Auswege aus diesem Dilemma zeigt der Autor mithilfe einiger prominenter Kronzeugen auf. Riethmüllers spannender Rundgang durch unterschiedliche theoretische Ansätze von Marcuse, Baudrillard bis Derrida mündet in eine andere Art von „Globalisierungskritik“ und macht dabei deutlich, dass der gegenwärtige Diskurs um Reformen und die Zukunft des Standorts eben das Problem ist, als dessen Lösung er sich ausgibt.