Kopfnüsse – nichts für weiche Birnen

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Wenn man als Autor es selbst in die Hand nimmt, einVorwort zu schreiben, sollte man besser von einer Vorbemerkungsprechen. Das würde auch zu dem Inhaltdieses Büchleins sehr gut passen, welches aus einerSammlung von gedanklichen Anmerkungen, intuitivenEinfällen und aphoristischen Sprüchen besteht, die imLaufe der Zeit notiert wurden. Pate stand dabei auchein Spruch von Christian Morgenstern: „Jeden Tagseines Lebens eine feine kleine Bemerkung einfangen- wäre schon genug für ein Leben.“ Das beinhaltetnatürlich auch, dass nicht alles, was man so täglich zuPapier brachte, auf gleich hohem Niveau angesiedeltist, weil man, wie es so schön heißt, nicht immer gutdrauf ist. Doch es widerstrebte mir, nur das Beste vomBesten heraus lektorieren zu lassen: Auf diese Weisesollte ein scheinbar elitärer Abstand zum Leser vermiedenwerden. Das Gegenteil war eher beabsichtigt:Der Leser sollte in die Gedankenwerkstatt des AutorsEinblick bekommen, und so zum Mitdenken oder zueigenen, vielleicht sogar besseren Formulierungen ausseiner Sicht der Dinge angeregt werden. Gleichzeitigkann er auf diese Weise auch so manche Umwegezu Gedankengängen mitverfolgen und mental oderemotional leichter nachvollziehen.Einige dieser täglichen Bemerkungen wird er sich aufdiese Art besser merken können oder beherzigen,was den Arzt im Autor freuen würde. Denn es sindnicht wenige „Heilsätze“ hier aufgeführt, die aus der bitteren Erfahrung persönlicher Krankheitserlebnisseoder eigenen Fehlverhaltens geboren wurden. PeterBamm, der Arzt, Schriftsteller und Aphoristiker hates treffend ausgedrückt: „Erfahrungen eignen sichfür nichts so gut wie dazu, über sie zu schreiben.“Was nicht selten einen therapeutischen Effekt mitsich bringt. Hatte man doch bereits in der Schulevon Cicero übersetzen müssen: „Es gibt in der Tat einHeilmittel für die Seele, die Philosophie. Ihre Hilfemuss man nicht, wie bei den Krankheiten des Körpers,von außen holen, wir müssen uns vielmehr mit allenMitteln und allen Kräften bemühen, uns selbst heilenzu können.“ Ein englisches Sprichwort bringt es aufden Punkt: „Doc, heal thyself !“ Aphorismen sind auchals philosophische Mosaiksteinchen solche heilendenSentenzen. Sinn dieser Aufzeichnungen ist dahervor allem, Lebensphilosophie im Entstehen (in statunascendi, so heißt es im Latein der Mediziner), oft inForm von Gedankensprüngen, zu vermitteln.Erwin Chargaff, der geniale Biochemiker, Essayist undAphoristiker, den ich einmal persönlich kennenlernendurfte, hat seine Aphorismen sehr bescheiden als„Bemerkungen“ veröffentlicht. „Ohne ein ordnendesPrinzip geht die Wirkung des einsamen Gedankenstiefer. Unordnung ist manchmal ein schöpferischesElement.“ heißt es in seinem Vorwort! Ebenfalls vonihm stammt der Satz, der auf das anfangs Gesagtezutrifft: „Bevor der Schriftsteller ans Schreiben geht,muss er sich sein Publikum ausdenken.“ Oder es sichvorstellen. Er definierte auch: „Aphorismus ist dieWortwerdung der Wörter.“ Man könnte ergänzen:Auch der Sprichwörter! Deren Variationen spielenebenfalls in diesen Notizen eine Rolle. Schließlich heißt es bei Chargaff: „Eine Antwort, die keine Frageenthält, ist wertlos.“ Genau darauf aber kommt es an:Die individuelle Beantwortung von den verschiedenstenFragen wirft viele neue und allgemeine Fragen auf!Mit anderen Worten: Unser Leben ist recht fragwürdig,und das im doppelten Sinne des Wortes! EndgültigeAntworten gibt es nicht, aber vorübergehend gültige!Sie für sich im Nachdenken zu entdecken, dabeisollte die Lektüre dieser Notate etwas Hilfestellunggeben – !

Literatur:Christian Morgenstern: „Aphorismen, Sprüche und andereAufzeichnungen“, R. Piper, München (1979)Peter Bamm: „Eines Menschen Einfälle“, dva, Stuttgart(1977)Erwin Chargaff: „Bemerkungen“, Klett-Cotta, Stuttgart(1981)
Gerhard Uhlenbruck, Köln im Juni 2012