Krankheit nicht zum Tode

Gedichte

von

„Mit heilig-reinem Aug ergehst du dich / allseitig liebevoll ins Nah und Ferne, / zum Fels, der überschäumt von Wasserfällen, / empor zum Regenbogen, zu den Wolken, / hoch über sie hinaus bis in die Sonnen, / die hundertblätterig wie eine Rose / sich weithin auf dem Horizont verstreut. // Die Abendröte trägst du in die Nacht, / jetzt aber kehrst du in dich selber ein. / Du suchst in dem Geschauten einen Sinn, / im Sinne einen Laut, im Laut ein Wort. / Die Zeichen einer nie gelesnen Sprache / enttauchen dir in Linien und Kurven: Ein blumig sich erhellendes Gebild.“
„Vor den Gedichten eines Weisen muss der kritische Geist verstummen. Wenn Albert Steffen sich mit seinem ganzen Wesen als Dichter verantwortlich fühlt und jede Zeile mit dem Gewicht persönlicher Überzeugung aufwiegt, dann ziemt dem Leser die Ehrfurcht, welche über mangelndes Ahnungsvermögen hinwegträgt, eine Toleranz, die sich kein Urteil über das Geheimnis anmaßt. In diesem Geheimnisvollen, einer in tausend Ranken und Gedanken sich offenbarenden Welt, wo jeder Punkt sich in die Sphären weitet und das Größte in jähem Schwung im Kleinsten einkehrt, liegt das Grunderlebnis seiner Lyrik, und es ist selbstverständlich, daß er sich ihm weder als Erklärer noch gar als Zergliederer oder Systematiker nähert. Er findet die Einheit nur im seelisch-religiösen Erlebnis, einem Offensein für Menschen und Dinge, die einer Entpersönlichung gleichkommt. Immer wieder steht er als Unpersönlich-Liebender an der Schwelle der Geburt und des Todes, am Übergang, vor dem Aufgehen ins All. Es bedürfte dazu keiner Krankheit; denn die Todesgefahr verbindet sich nicht mit Angst vor dem Unbekannten oder Furcht vor dem Erlöschen. Und doch verleiht sie seiner sonst leicht verschwebenden Lyrik die Eindrücklichkeit eines bestimmten, dem Thema gemäßen Stoffes, der in mannigfaltigen Abwandlungen wieder erscheint. Und einem Leser, der alle ihre scheinbaren Seltsamkeiten als Ausdruck eines meditierenden Weltgeistes anzunehmen bereit ist, wird dieser Sieg der Seele über das Mißverständnis des Todes segensvolle Ruhe schenken.“ (R.K.H. in „Basler Nachrichten“, Basel 12.10.1956, Literaturblatt).