Kryptonymie. Das Verbarium des Wolfsmanns

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Sigmund Freuds Schrift „Aus der Geschichte einer infantilen
Neurose“ gilt als ‚die ausführlichste und zweifellos
wichtigste aller Krankengeschichten Freuds‘ (James Strachey, Herausgeber der englischen Freud-Gesamtausgabe),
als ‚Wolfsmann‘ ist sein Patient in die Geschichte der psychoanalytischen Theorie eingegangen.
Nicolas Abraham und Maria Torok
unternehmen in ihrem Buch eine Neuinterpretation
der Träume des Wolfsmanns. Sie entdecken dabei
die Krypta als verborgenen Ort der Sprache in der
Psyche, als das Versteck des Unbewussten in der
Sprache.

‚An Hand ihrer Revision eines der fünf veröffentlichten
Fallberichte von Freud, des ‹Wolfsmannes›, übt
man sich lesend in Abraham und Toroks Interpretationsmethodik
ein, die auf den ersten Blick als Rebus-Verfahren erscheinen will, jedoch solche nur sprachlich fundierte Kombinatorik hinter sich lässt. Die Autoren geben sich nicht zufrieden mit Lacans Bescheid,
der Wolfsmann sei als Neurotiker diagnostiziert; in Wahrheit handelt es sich um einen Psychotiker, dessen ‹Verwerfungen› dem Symbolisierungsvermögen nicht zugänglich seien. Sie nehmen die Herausforderung des Falles persönlicher und sehen an ihm
die schwierige Problematik der Gegenübertragung des Psychoanalytikers mit aufgerollt. Aus diesem persönlichen
‹Überlebensgrund›, also nicht aus einem abstrakten wissenschaftlichen Motiv, begeben sie sich an die Revision der Dokumente von Freud und Ruth McBrunswick, der späteren Analytikerin des Wolfsmannes, und unterwerfen die Träume des
Russen einer komplizierten Übersetzungsarbeit. Das
Fesselnde an der ‹Kryptonymie› ist, dass die Fragen
der Philosophie auf der Ebene der Psychoanalyse gestellt werden und auf eben dieser Ebene der Philosophie die Antwortmöglichkeit kategorisch bestritten wird. Niemand könnte das glaubwürdiger bestätigen als der Philosoph Jacques Derrida, der sich mit seinem
Vorwort völlig in den Dienst der Kryptonymie stellt.‘ (Caroline Neubau, DIE ZEIT)