Kugel und Kreuz

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Mit Kugel und Kreuz (The Ball and the cross) erscheint nunmehr der letzte noch nicht auf Deutsch veröffentlichte Roman G.K. Chestertons. Lange war dieses Werk diesseits und jenseits des Ärmelkanals in Vergessenheit geraten.

Doch der Leser bemerkt schnell, welchen weiteren Schatz des literarischen Genies er in den Händen hält: ein Chesterton-Vademecum, das vieles aus den nahezu einhundert Büchern des geistreichen Engländers im handlichen und vergnüglichen Format bereit hält, eine Faustiade voller Humor und bissiger Ironie, ein Feuerwerk der Bonmots und Paradoxa, eine Kaskade von pointierten Repliken und Dialogen, eine intellektuelle Brandstiftung, die dazu angetan ist, das Irrenhaus einer falschen Welt hinwegzufegen.

Kugel und Kreuz ist ein Roman, in dem Chesterton mit literarischem Talent katholische Überzeugungen mit einer kraftvollen Handlung verschmilzt. Ein Christ und ein Atheist, die über eine Blasphemie miteinander in Streit geraten, verfallen auf ein Duell, um ihren religiösen Konflikt auszufechten. Die staatstragenden Mächte erkennen schnell die Gefahr, die von dem Prinzipienstreit zweier Individualisten in einer prinzipienlosen Welt ausgeht, und verwehren beiden den Kampf. Erscheinen die Widersacher anfangs als skurrile Käuze, die in absurde Händel verstrickt sind und die man bestenfalls für verrückt erklären sollte, so zeigt sich im weiteren Verlauf, dass Letzteres viel eher auf die Richter, Ordnungshüter, Denunzianten, braven Dorfbewohner und perfiden Anstaltsverwalter zutrifft, letztlich auf eine verkehrte Weltordnung mit all ihren Verdrehungen und Verirrungen. Auf der abenteuerlichen Flucht vor dem lähmenden Zugriff der Obrigkeit, die die beiden Kontrahenten quer durch England treibt, wird aus dem immer wieder aufgeschobenen Säbelduell ein nie endendes Rededuell. Paradoxerweise vereint es die Flüchtlinge gegen ihre unerbittlichen Verfolger, die ihnen gerade das nehmen wollen, was beide als das sie Verbindende erkennen lernen. Und so finden die Geistesantipoden heraus, dass sie in ihrem Gegensatz ein Prinzip verkörpern, das vielleicht noch viel bedeutsamer ist, als das jeweilige, für das sie anfangs stritten.
Chesterton spielt nicht nur in seinem atemberaubenden Fahrerflucht-Kapitel, sondern während der gesamten narrativen Tour de Force virtuos mit Beschleunigungspedal, Kupplung und allerlei mysteriösen Hebeln, um sein Romanvehikel, in dem beständig zahlreiche Protagonisten mitreisen, in halsbrecherische Fahrt oder zeitweiligen Stillstand zu versetzen. Im Auf und Ab von realistisch-dramatischen Szenen und haarsträubenden Traumvisionen, von philosophisch-religiösen Exkursen und unterhaltsamen Alltagsreflexionen bereist Chesterton eine groteske Romanlandschaft, deren Charakter weniger von absoluten Wahrheiten geprägt wird als von wechselnden Perspektiven, die sich im imaginationsreichen Spiel des literarischen Texts immer wieder neu eröffnen.