Literatur

Roman

von

In eine kneifende Uniform gezwängt und mit einer entsetzlichen Kopfbedeckung angetan, tritt Maria Angulema die Reise nach Lourdes an. Mit dem Ziel, vom Herrgott höchstpersönlich eine Erklärung für den Unfalltod ihres Vaters einzufordern, begleitet sie als freiwillige Schwesternhelferin einen Pilgerzug aus der mittelitalienischen Provinz. Ein ganzes Dorf möchte das Wunder von Lourdes erfahren: ein kreischend lärmender Mikrokosmos aus echten Kranken und den Kindern, Kindeskindern und nächsten Verwandten der echten Kranken, aus eingebildeten Kranken und den Kindern, Kindeskindern und nächsten Verwandten der eingebildeten Kranken, aus Pilgern, Begleitpersonal und Schwestern begibt sich auf eine Wallfahrt, die eher einer Fahrt auf dem Narrenschiff gleicht.
Nervlich angeschlagen, unbeholfen und von allen herumkommandiert, wird Maria Angulema immer mehr in ein alptraumhaftes Erleben hineingezogen. Halb gegen ihren Willen stolpert sie mit den Pilgerscharen die endlosen Pflichtetappen des religiösen Zeremoniells entlang, auf Schritt und Tritt verfolgt von dämonisch-grotesken Figuren wie der ebenso stockdummen wie schrillen Samantha und zwei schnurrbärtigen Kusinen; dann überfällt sie plötzlich die unerfüllbare Liebe zu einem stummen, überirdisch schönen »Gichtbrüchigen«. Die Gelegenheit zum Zwiegespräch mit dem Herrgott, auf das sie unerschütterlich hofft, lässt auf sich warten… In einem Crescendo grotesker Situationen steuert der Roman auf einen Schluss zu, der in seiner Radikalität die gesamte Erzählung unversehens aus den Angeln hebt: kompromisslos und literarisch unkorrekt.

Aus jeder Zeile spricht die Aufmerksamkeit für das nervtötende Elend und die Lächerlichkeit des Alltäglichsten, für die scheinbar banalsten und niedrigsten Details, in denen im wahrsten Sinne des Wortes der Teufel steckt: schlecht sitzende Schuhe, Magendrücken, kneifende Kleider… Erzählt wird in einer polyphonen, geradezu physischen Sprache, die dem Leser von Anfang an direkt zusetzt. Eine Sprache, in der eine selten gekannte Frechheit, Drastik, Wagemut und merkwürdige Zärtlichkeit liegen – und zugleich die Fähigkeit, der Welt an die Substanz zu gehen.

Gleich mit ihrem ersten Roman »Lourdes« erweist Rosa Matteucci sich als Ausnahmeerscheinung inmitten einer gefälligen Prosa, in der nichts unvorhersehbar ist. Wie wenige geht sie das Risiko einer eigenen literarischen Stimme ein, die Komik und Pathos, Grässliches und Intimes auf sonderbarste Weise verbindet.