Mallorca erzählt – Literatur der Balearen

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‚Der römische Kardinal suchte gerne die Gärten seines mallorquinischen Landhauses auf, wo er einen Irrgarten aus aneinandergereihten Zypressen hatte errichten lassen. Insgeheim erzählte man sich, daß ihn in einer Ecke des Gartens bei Sonnenuntergang eine scheue Dame erwartete. Sehr wenige hatten sie gesehen; aber diejenigen, die sie zu Gesicht bekommen hatten, erzählten begeistert vom Glanz ihrer Schönheit, von dem warmen und üppigen Blick, den sie von sich gab. Jemand berichtete mit leiser Stimme, wie einer, der ein verborgenes Geheimnis enthüllt, daß er den Kardinal jenseits der versprengten Schatten in Umarmung eines klebrigen Tieres gesehen habe. Und man erzählte sich, daß sich eine riesige Schlange um die seidenweiche Haut jenes Mannes schlang. Sie küßten sich auf den Mund, beide streckten ihre Zungen hinaus: zwei Nadeln, die sich ineinander verschlangen und einen Knoten bildeten, und es war genau jener Knoten, der das Gift freisetzte, das die Verwandlung des Tieres in eine Dame bewirkte.‘
Eine wunderschöne Frau namens Aina wird in ihrer Wohnung auf Mallorca tot aufgefunden. Kommissar Carles Andreu, ein einsamer Mann, der ganz in seiner Arbeit aufgeht, versucht beharrlich, aus einem früheren Liebhaber der Toten, der jetzt an einen Rollstuhl gefesselt ist, herauszubekommen, wer ihr Mörder war. Der Verdächtige beginnt eine Geschichte zu erzählen, die den Kommissar aufgrund ihrer eigenartigen Mischung von Gewalt und Schönheit verblüfft und zunächst in ihren Bann zieht: In einem Labyrinth der Liebesleidenschaften umtanzt der Tod die Hauptfiguren in Geschichte und Gegenwart wie ein unausweichliches Schicksal, Phantasie und Realität verschmelzen ineinander. Zunehmend durch das alte Spiel von Eros und Thanatos verwirrt, weiß der Kommissar letztlich nicht mehr, welcher Fassung der Geschichte er Glauben schenken soll.

Gabriel Janer Manila, geboren 1940 in Algaida (Mallorca), ist ordentlicher Professor an der Universität der Balearen und Schriftsteller. Seit 1967 hat er zahlreiche Romane und Kinderbücher veröffentlicht, welche mit den bedeutendsten katalanischen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden. Vorliegendes Werk gewann 1997 den Premi Carlemany. Janer Manila hat außerdem ein umfangreiches wissenschaftliches Werk und zahlreiche Essays in katalanischer Sprache verfaßt. Verschiedene seiner Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Berühmte Romane aus seiner Feder sind u. a. Els alicorns (1972), Angeli Musicanti (1984), Els rius de Babilònia (1984), La dama de les boires (1987), Paradís d’orquídies (1992), La vida, tan obscura (1996), Estàtues sobre el mar (2000), George: el perfum dels cedres (2002) und Tigres (2007). Ins Deutsche übersetzt wurden bisher Musizierende Engel (2003), Die Nebeldame (2003) sowie das Kinderbuch Wohin du auch siehst, überall ist das Meer (1991).