Malwida von Meysenbug – Wegbereiterin der Emanzipation im 19. Jahrhundert

Leben, Schaffen und Wirken

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Malwida von Meysenbug (1816−1903) war zu Lebzeiten eine bedeutende Schriftstellerin, ihr literarisches Werk war für eine Frau der damaligen Zeit sehr umfangreich. Insbesondere durch ihre Autobiografie „Memoiren einer Idealistin“ (1869/1876) wurde sie über Nacht in ganz Europa und darüber hinaus bekannt.
Das Besondere dieser Lebensbeschreibung liegt in der Schilderung, wie sie sich aus den engen Fesseln der Familie befreit und ihren eigenen Weg geht. Obwohl privilegiert zwischen Adel und Bürgertum aufgewachsen, war sie für die Nöte der unteren Klassen empfänglich. Malwida von Meysenbug hat bewusst das Leben um sich herum wahrgenommen, sie hat die sozialen Missstände gese-hen und sich schließlich mit den demokratischen Bewegungen des Vormärz und der Revolution von 1848 solidarisiert. In den Konflik-ten, denen sie dadurch mit ihrer Familie ausgesetzt war, stand sie entschieden zu ihrer Haltung und nahm darüber hinaus in Kauf, als politisch Verfolgte emigrieren zu müssen. Mittellos und allein im Exil in England begann sie als junge Frau, völlig auf sich selbst gestellt, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Da sie gebildet, an vielem interessiert und weltoffen war, hatte sie als Lehrerin und Erzieherin bald Erfolg. Neben Deutsch sprach Meysenbug fließend Englisch und Französisch, durch den Kontakt mit Alexander Herzen fand sie Zugang zur russischen Sprache, und später, als sie in Italien lebte, eignete sie sich Italienisch an. In diesen Sprachen schrieb sie ihre Briefe und Zeitungsartikel, je nachdem, wer ihre Ansprech-partner waren.
Malwida von Meysenbugs autobiografische Beschreibung ihres Lebenswegs und die Hürden, die sie zu überwinden hatte, lösten insbesondere bei vielen Frauen im ausgehenden 19. Jahrhundert Hoffnungen aus, auch der Enge und Bevormundung entfliehen und sich selbst verwirklichen zu können. Für Meysenbug war es eine große Freude, zu sehen, welche Zuversicht sie mit ihren Memoiren bei der Jugend erweckte. Viele Frauen schrieben ihr voller Begeisterung und zu vielen von ihnen entwickelte sich ein persönlicher Kontakt. Es war für sie beglückend, nicht nur ihre Erfahrungen weitergeben zu können, sondern sie bot sich auch selbst als Mentorin an.
Als Person und Mitmensch imponierte Malwida von Meysenbug insbesondere dadurch, dass sie vorurteilsfrei auf Menschen zugehen, Freundschaften aufbauen und diese über Jahre pflegen konnte. Viele berühmte Zeitgenossen (z. B. Gottfried Kinkel, Alexander Herzen, Giuseppe Mazzini, Richard Wagner, Friedrich Nietzsche, Romain Rolland) wussten sie zu schätzen und suchten ihre Nähe. Je älter sie wurde, umso mehr legte man Wert auf ihr Urteil und schätzte ihre Lebenserfahrung.
Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Lebensgeschichte von Malwida von Meysenbug. Neben dem umfangreichen Briefwechsel Meysenbugs und der Sekundärliteratur wird insbesondere auf die Autobiografien „Memoiren einer Idealistin“ und „Der Lebensabend einer Idealistin“ verwiesen. Anhand dieses vorhandenen Materials soll aufgezeigt werden, wie es Meysenbug gelungen ist, sich aus den engen Familienstrukturen zu lösen, sich ein eigenständiges Leben aufzubauen, um schließlich zu dieser besonderen Persönlichkeit zu reifen.
Die Aktualität der Thematik und die damit einhergehende Bedeutung für unsere heutige Zeit sind darin begründet, dass der Blick auf Meysenbug ein psychologisch-anthropologischer ist. Deshalb wird es neben der „Geschichte“ an bestimmten Stellen Einfügungen geben; mithilfe psychologischer Theorieansätze soll eine Annäherung an die individuelle Persönlichkeit Meysenbugs versucht werden. Da sie uns in ihrer Autobiografie neben ihrer Lebensbewegung und ihrem Wertehorizont auch viele sehr eindrückliche Kindheitserinnerungen präsentiert, bietet es sich an, Alfred Adlers Ganzheitstheorie diesbezüglich zu befragen (Exkurs I und II).
Kritisch angemerkt werden muss, dass Meysenbug durch ihre idealistische Sichtweise vieles verklärt gesehen hat und ihr manches Mal der Blick fürs Reale abhanden gekommen ist. Hierbei bietet sich die Theorie Karen Horneys an, die mit ihrem Konzept vom idealisierten, realen und wahren Selbst einen weiteren Deutungsansatz ermöglicht (Exkurs III).
Im Schlusskapitel soll das Problem der Idealisierung nochmals aufgegriffen werden. Seinen Sinn bezieht dieser pathologisierende Begriff, wenn man ihn vor seinen anthropologischen Hintergrund stellt: Erst im Kontext der Hingabethematik, wozu das Bewundern und das Verehren zählen, wird das Idealisieren in seiner Defizitform transparent. Mit dieser Einordnung soll schließlich der Bogen zur Verstehenden Tiefenpsychologie Josef Rattners als personalistische Betrachtung geschlagen werden.