Martyrien

Altgeorgische Heiligenlegenden

„Ist der Märtyrertod denn nur ein Tod? Nein, er ist die Geburt zu einem neuen, unsterblichen Leben…“

Das vorliegende Buch verschafft dem deutschsprachigen Leser einen Zugang zu drei Meisterwerken der altgeorgischen Prosa. Im Mittelpunkt steht das Martyrium der heiligen Schuschanik, einer Königin, die ihrem Ehemann Widerstand leistete, als dieser aus politischem Kalkül konvertierte und auch sie zur Abkehr von ihrem Glauben zwingen wollte. Be­mer­kens­­wert erscheint dem heutigen Leser die feinsinnige Radikalität ihrer Selbst­bestimmung als Frau in einem patriachalen Umfeld. Die Martyrien geben ein lebendiges Zeugnis vom Verhältnis des Christentums zu anderen Religionen der damaligen Zeit wie dem persischen Zoroastrismus (Mazdaismus) und dem aufkommenden Islam. Den Überlieferungen ist eine Einleitung zu den historischen Geschehnissen in einer Region vorangestellt, die sich über Jahrhunderte hinweg als Spielball zwischen den herrschenden Großmächten befand. Wie sind individueller Glaube und gesellschaftliche Funktion der Kirche miteinander verzahnt? Spielen staatliche Verfolgung, Aufopferung des Einzelnen und kollektive Selbstbehauptung noch immer eine Rolle im politischen Geschehen? Was aus west- und mitteleuropäischer Perspektive peripher erscheint, erweist sich, wie bereits Goethe bemerkte, als zentral.

Das Buch ist mit zahlreichen Abbildungen sowie einem informativen Anhang ausgestattet, der eine Zeittafel, Begriffserklärungen sowie Beiträge von Adolf von Harnack und Neli Amaschukeli enthält.

Zu den Übersetzern:

Neli Amaschukeli (georg.: ნელი ამაშუკელი, 1921 -2007)

Neli Amaschukeli wurde 1921 in Tbilissi geboren, studierte Deutsche Sprache und Literatur, Lehrstuhlinhaberin für Germanistik; sie war Präsidentin der Georgisch-Deutschen Gesellschaft und Mitglied der Internationalen Goethe-Gesellschaft in Weimar. Prof. Neli Amaschukeli ist als Übersetzerin und Vermittlerin zwischen georgischer und deutscher Kultur vielfach hervor­ge­tre­ten: Sie über­setzte u.a. altgeorgische Texte wie das Martyrium der Schuschanik und Der Recke im Tigerfell von Shota Rustaweli, die Gedichte Gedanken am Fluß Mtkwari von Nikolos Bara­ta­schwili und die georgische Fassung des alt­persischen Liebesromans Wis und Ramin, Geor­gische Romantiker, Neue Georgische Lyrik seit 1978 sowie Gedichte von Anna Kalandadse ins Deutsche. Im Jahr 1969 plante der Verlag Volk und Welt anläßlich der georgischen Kultur­tage in der DDR eine Anthologie mit georgischer Lyrik und Kurzprosa. Adolf Endler, Rainer Kirsch und Elke Erb hielten sich daraufhin drei Monate in Georgien auf, um eine Textauswahl des Georgischen Schriftstellerverbandes auf Grundlage einer Interlinearüber­set­zung von Neli Amaschukeli nachzudichten. 1971 erschien die Anthologie Georgische Poesie aus acht Jahrhunderten. Umgekehrt übertrug sie Die Wahlverwandtschaften von Goethe, Der Prozeß von Franz Kafka, Die Jünger Jesu von Leonhard Frank, Das Tagebuch der Anne Frank und die Ansichten eines Clowns von Heinrich Böll ins Georgische. Außer­dem übersetzte sie zwölf Opernlibretti, u.a. Mozarts Zauberflöte, sowie zahlreiche Essays und Sachbücher zur georgischen Kirchenmalerei, Film- und Theaterkunst, Musik, Literatur und Architektur sowie die Ilia Tschawtschawadse-Biographie von Giorgi Abaschidse aus dem Georgischem ins Deutsche und vice versa. In den 1970er Jahren wurden im Rahmen eines Kultur­austauschs in Saarbrücken etliche geor­gische Opern in der äquirhythmischen Übersetzung von Neli Amaschukeli von deutschen Sängern aufgeführt. Neli Amaschukeli wurde mit zahlreichen Preisen aus­ge­zeich­net, u.a. mit dem Albert-Schweit­zer-Friedenspreis, 2001 mit dem Georgischen Ehrenorden sowie 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse.

Iwane Dschawachischwili (georg.: ივანე ჯავახიშვილი, 1876 –1940)

Philologe, Historiker und Mitbegründer der Staatlichen Universität Tiflis, wurde als Sohn des Erziehungswissenschaftlers Aleksandre Dschawachischwili 1876 geboren, erwarb 1895 das Abitur in Tiflis, studierte bis 1899 Orientalische Sprachen in Sankt Petersburg, darauf folgte ein zweijähriges Auslandsstudium, 1898 Aufenthalt in Königsberg und Er­werb deut­scher Sprachkenntnisse, 1901-1902 Gasthörer an der Friedrich-Wilhelms-Uni­ver­sität Ber­lin bei Adolf von Harnack und Karl Krumbacher und über­set­zte altgeorgische Heiligen­legen­den ins Deutsche; Harnack bemühte sich, ihn für die Berliner Universität zu gewinnen; 1902 Expedition zum Berg Sinai mit Nikolai Jakowlewitsch Marr, um alt­geor­gischer Manuskripte zu bergen, 1903 bis 1917 war Iwane Dschawachischwili Privatdozent für Kartwelologie an der Armenisch-Georgisch-Iranischen Abteilung an der Universität Sankt Petersburg, engagierte sich für die Gründung der Staatlichen Universität Tiblissi, wo er 1918 die erste Vorlesung hielt („Die Persönlichkeit des Menschen und ihre Bedeutung im altgeorgisch-philosophischen Schrifttum“), 1919-1926 Rektor der Universität, 1918-1938 Dekan der historischen Fakultät, 1924 Unterstützung des August-Aufstands in Georgien, daher 1926 Ablösung als Rektor und mehrere Jahre Hausarrest, 1936 lehnte er es ab, Mitglied der KPdSU zu werden, 1936-1940 Leitung der historischen Abteilung des Staat­li­chen Museums Georgiens, 1939 Vollmitglied der Sowjetischen Akademie der Wis­sen­schaf­ten, Mitglied im Parlament der Georgischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Das Werk von Iwane Dschawachischwili umfaßt 170 wissenschaftliche Artikel und ca. 20 Mono­grafien: eine vierbändige Geschichte Georgiens, eine dreibändige Geschichte des geor­gischen Rechts, eine zweibändige Geschichte der Wirtschaft Georgiens, eine Geschichte der georgischen Musik, eine Studie zur Verwandtschaft der kart­weli­schen und kau­ka­si­schen Sprachen, eine georgische Paläographie, eine georgische Münz- und Meßkunde, eine georgische Diplomatik und eine Arbeit über Quellen und Methoden der Geschichts­wissen­schaft.