Mektuplar

von

Mitte Oktober 1992 kam unser Freund und Genosse bei dem Angriff der südkurdischen Kollaborateure und der türkischen Armee, unterstützt von den imperialistischen Staaten, auf die Camps der ARGK in der Region Haftanin ums Leben. Es ist besonders schmerzlich für alle, die ihn kannten, daß er dem verräterischen Zweckbündnis, das KDP und PUK mit der Türkischen Republik gegen den nationalen Befreiungskampf Kurdistans eingingen, zum Opfer fiel!
Hüseyin hat lange in Deutschland gelebt und war zu einer lebendigen Brücke zwischen den InternationalistInnen der reichen westlichen Metropolen und dem kurdischen Befreiungskampf geworden. In seinem kurzen und intensiven Leben blieb ihm nichts erspart, in Deutschland als jüngster „Terrorist“ größten „Terroristen“ -Prozeß, dem 129a-Verfahren gegen Freunde und Mitglieder der PKK in der BRD, unter unwürdigen Bedingungen eingesperrt und angeklagt zu werden. Zwei Jahre verbrachte er in den Isolationstrakten deutscher Gefängnisse. Er verlor nie seinen Humor: noch lebhaft erinnern wir uns wie er von seiner Festnahme erzählte, wie er die militärische und politische Maschinerie, die 1988 in Gang gesetzt wurde, verhöhnte. Von Anfang an sagte er voraus, daß der Prozeß wie ein Luftballon platzen würde, was – zwar nicht mit einem Knall, aber doch nach und nach geschah. Die Luft ist raus aus der Anklage, die meisten Verfahren wurden eingestellt!
Hüseyin war neugierig, offen und sprühte vor Humor so sehr, daß sich viele fragten, wie ein Mensch, der soviel Schweres erlebt hatte, in allem, was geschah immer noch die komische Seite sehen konnte. Das heißt aber nicht, daß er nicht verwundbar war: er litt unter der ständigen Observation, unter der Schnüffellei der deutschen Behörden in seinem täglichen Leben, er litt unter dem Rassismus der Richter und Staatsanwälte, der Polizei und der Medien. Nachdem sein Haftbefehl aufgehoben war, war es für ihn kaum möglich, auf offener Straße einen Schritt zu tun. Vor unverschlossenen Türen blieb er stehen, als warte er auf den Wärter, der ihm aufschließen sollte. Aber bald schon hatte er das überwunden: im Frühjahr 1991 verabschiedete er sich aus Deutschland, um am Kampf seines Volkes teilzunehmen.
Hüseyin machte nie einen Hehl aus seiner politischen Meinung, jede Art von Geheimnistuerei lehnte er ab und lachte darüber. Mit der gleichen Offenheit konnte er die eigenen Fehler, die er in seiner früh begonnenen politischen Laufbahn gemacht hatte, zugeben und sich darüber amüsieren. Im Alter von 7 Jahren ging er mit seinem Vater und einem Freund der Familie auf die erste Kurdendemo Deutschlands, die aus zwei Erwachsenen und einem Kind bestand. Sie protestierten gegen die Aggression des Irak gegen die Bewegung von Barzani. Es bleibt wütende Sprachlosigkeit und zeigt doch die Tragik der kurdischen Geschichte, daß er als Kind Bilder von Barzani an seiner Wand hängen hatte und nun durch die Peschmergas des Barzani-Clans ermordet wurde.
Hüseyin blieb in seiner politischen Arbeit nicht auf Kurdistan beschränkt: er verfolgte aufmerksam die Entwicklung in Deutschland, die internationalen Ereignisse ermöglichten ihm besser zu verstehen, was in seinem Land passierte. Mit Ausdauer und unermüdlicher Hoffnung arbeitete er – auch in der Redaktion des Kurdistan Reports – täglich und oft die Nächte hindurch, um Bewegung in die Geschichte seines Volkes zu bringen und auch um etwas im erstarrten Deutschland zu bewegen. Er war ein geschickter, kluger Diplomat, doch nie getrennt vom Leben der KurdInnen in den Bergen, nie getrennt vom Kampf in Kurdistan, nie getrennt von den Arbeitern. Es gab viele Seiten an Hüseyin zu entdecken. Er konnte träumen wie es Lenin schon formuliert hatte: wenn sich der Traum als Illusion herausstellte konnte er ihn mühelos verwerfen. Aber er tat alles aus seiner Verwirklichung, wenn er gespürt hatte, daß der Traum authentisch war.
Hüseyin hat einen solchen Traum, ein Stück politischer Utopie gewagt zu leben. Er war ohne Bitterkeit, ohne Rachegelüste trotz der schweren Anfeindungen, denen er in Deutschland ausgesetzt war. Nichts dergleichen konnte ihm den Blick verstellen, seine Großzügigkeit einschränken oder ihm den Humor nehmen. Als er schon in Kurdistan war, sollten ihn noch prozeßbehördliche Maßnahmen treffen, und weil er nicht mehr greifbar war, wurde statt ihm der Vater traktiert. Wir erinnern uns als Hüseyin lachend in die Kamera eines Fersehteams in Kurdistan auf die Frage, ob sie denn nicht „Terroristen“ seien, antwortete, daß auch Jesus Christus nach Deutscher Definition ein „Terrorist“ gewesen sei und so befänden sich die Kurden ja in bester Gesellschaft.
Hüseyins Tod ist ein großer Verlust für alle, die ihn kannten und besonders für seine Eltern, die wir hoch schätzen. Viele teilen ihren Schmerz und erfahren doch hoffentlich auch Hüseyins große Kraft, die in ihnen weiterlebt.

aus: Kurdistan Report Nr. 53 Dezember 1992