Miguel

Erzählung

von

Ich gehe stadteinwärts, auf einem breiten Gehsteig, der die Geschäfte von der Strasse trennt. Er ist mit Betonplatten ausgelegt, die abgenutzt sind, abgetreten von Tausenden von Fussgängern jeden Tag, Dreck und Kaugummi kleben auf dem Beton wie eine Art Flechten, nicht mehr wegzubringen, würde man saubermachen, wären die Platten am anderen Tag wieder verklebt. Ich halte den Kopf gesenkt, die Augen auf die Platten fixiert, auf die Dellen und Brüche, auf die Fugen, in denen sich Abfall sammelt, Essensreste, weggeworfene Trinkhalme, Papiertaschentücher. Der Erzähler schildert einen Tag in Mexiko-City, wo er einige Orte besucht, die für ihn im Laufe der Zeit, die er in unregelmässigen Abständen in dieser Stadt verbracht hat, wichtig geworden sind. In verhaltener, dann wieder gedrängter Sprache erzählt er, was er macht, sieht, hört und denkt. Er verläuft sich im Untergrund des anthropologischen Museums und begegnet der Mutter der Erde. Ihre Hände sind Schlangenköpfe, ihre Füsse Adlerkrallen. Er geht durch einen Markt. Gewürze werden angeboten, Chileschoten vor allem, rotes von gelbgrauem Fett überzogenes Fleisch, Hühner, die halb schon vertrocknet sind, blutende Lebern, Lungen und Innereien. Eine Frau ist über ein rundes Bratenblech gebeugt, ihr Gesicht ist erhitzt, gerötet, von einer Haarsträhne gespalten. Er steigt mit Frida Kahlo zur Unzeit hinab ins Innere der Erde, wo ihre Freundin sie erwartet. Er steht in der schwindelerregenden Helligkeit der Mittagsonne auf der Plaza mayor, wo sich 1968 die Studenten versammelten, um dann durch die Strassen zu ziehen, hunderttausend, dreihunderttausend, fünfhunderttausend, in jenem Taumel, in den man gerät, wenn man in Massen unter Gleichgesinnten geht und glaubt, alles hinter sich zu lassen, die Fesseln abzuschütteln und zu neuen Ufern aufzubrechen.Er reist in den Süden des Landes, in das Gebiet der zapatistischen Unruhen, wo er seinen Freund trifft, Miguel, den revolutionären Studenten von 1968, der jetzt mit seiner Frau zusammen als einfacher Bauer lebt und mithilft ein neues, gerechteres Mexiko aufzubauen. Bericht, Erinnerung, Erzählung und genaue Beobachtung gehen ineinander über. Der Gang durch die Stadt wird zu einem Gang durch die mexikanische Gegenwart und die mexikanische Geschichte.