Gefallen Ihnen Wortschöpfungen wie „Hinterschaffenslasten“, „MitGift“ oder „Alkohohlkopf“? Schätzen Sie Stabreime wie „Männer müssen mürrische Mienen machen“? Können Sie sich Wortgebinde wie „Billig wird teuer, preiswert bleibt preiswert“ auf der Zunge zergehen lassen? Dann haben Sie ein Buch in Händen, welches Ihnen außerordentlich gut gefallen wird. Wer aber ist der Autor?
Rolf Mohr ist ein unauffälliger Mensch, der auffällt. Nicht weil er auffallend unauffällig wäre, sondern weil er freundlich, schlicht und bescheiden auftritt und uns dann auf das angenehmste überrascht mit dem, was er sagt und mehr noch mit der Art, wie er es sagt: er besticht durch Wortwahl, Ironie und eleganten Doppelsinn.
In Rolf Mohrs „Hinterschaffenslasten“ lernen wir einen schöpferischen Menschen mit den Antennen und mit der Sensibilität kreativer Persönlichkeiten kennen. Einen Menschen, der spürt, was faul ist im Staate, der an der Welt leidet, der die Welt und die Menschen dieser Welt aber auch liebt, fast so sehr wie seine Familie und seine Kinder. Rolf Mohr ist approbierter Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologe, Publizist, Kommunikationstrainer, Dozent, Lehrbeauftragter, Militärattaché, er ist auch und vielleicht sogar vor allem ein Homme de lettre, ein Mensch, der gern mit den Buchstaben arbeitet und gern mit ihnen spielt. Lang ist die Liste seiner zum Teil recht umfangreichen Veröffentlichungen. Die kleinen Köstlichkeiten jedoch, die „petit fours“ seiner schriftstellerischen Arbeit, wagen sich in diesem Buch erstmals ans Licht der Öffentlichkeit.
Eine gottlob nicht endlose, aber doch beachtlich lange Zeit seines Lebens hat Rolf Mohr an einer großen Bildungsbehörde zugebracht. Bildungsbehörden sind an erster Stelle Behörden und haben ein traditionell geringes Interesse an schöpferischen Abenteuern und kreativem Umsturz. An einer Behörde hat Rolf Mohr etliche Jahre seines Lebens zugebracht, was bekanntlich verschiedene Formen von Amputation zur Folge haben kann. Dafür, dass sein Kopf nicht dran glauben musste, steht seine unangefochtene Position als gefragter Trainer in der Seminarlandschaft, dafür stehen etliche Hinterlassenschaften wie diese Hinterschaffenslasten, dafür standen seinerzeit die Bücherberge in seinem Dienstzimmer. Dort lag allerdings auch ein blutiges Bein, welches dermaßen echt wirkte, dass ein zartes Gemüt einige Sekunden des Schreckens überstehen musste, um sich danach mit dem liebenswerten Wissenschaftlichen Direktor anzufreunden, der das Bein dort „vergessen“ hatte.
Mit Wonne pflegt Rolf Mohr die Respektlosigkeit kreativer Menschen und fragt sich beispielsweise, ob der Papst wirklich der Vertreter Gottes auf Erden sei oder ob vielleicht nicht eher der „Abwesenheitsvertreter“. Während seiner Zeit im Staatsdienst hat er sich gewiss mehr als einmal die Frage gestellt: „Ist es Stehvermögen, wenn jemand im Zug der Zeit einfach sitzen bleibt?“ Während seiner Dienstzeit entwickelte Rolf Mohr auch die Hohe Schule des Insults und lernte, wie man „Ohrfeigen so gibt, dass was zurückbleibt, aber nichts zurückkommt“.
„Der treffende Aphorismus setzt den getroffenen Aphoristiker voraus.“ Wie wahr dieses Diktum Georg Christoph Lichtenbergs ist, erkennt man bei vielen der Mohrschen Aphorismen. Diese entsprangen seinen beruflichen Erfahrungen mit Einrichtungen, welche zuverlässig dafür Sorge trugen, dass die „Entzündungstemperatur seines Geistes“ nie unterschritten wurde, so dass er pausenlos „reaktiv kreativ“ sein konnte. Nicht nur Leser, die den öffentlichen Dienst kennen, finden in dieser kleinen Auswahl reichlich Anlass entweder zum Schmunzeln oder zu göttlichem Gelächter.
Rolf Mohr ist seinerzeit freier Mitarbeiter der Zeitschrift „Psychologie Verstehen“ gewesen, die ich von 1992 bis 2007 herausgegeben habe. Dabei konnte ich sein Talent kennenlernen, unkonventionell mit Worten umzugehen, um das Beste herauszuholen von dem, was in ihnen steckt oder sich etwas Ausgefallenes einfallen zu lassen, was man in sie hineinlegen könnte. In Fug und Unfug erfahren wir, Lesben seien „freie Frauen, die Frauen freien“ und dass man von einem Mitarbeiter „mehr erwarten darf als den normalen Einsatz, nämlich den Dreisatz“.
Zu den liebenswerten Formen der Regression gehört das Spielen. Als Spiele mit Worten belustigen uns „Kichererbsen für Lachmöwen“, das „Dschungel-Duschgel“ oder Palindrome wie „Metaatem“. Als Spiel mit dem Feuer lassen die Mohrschen „Schlüpfrigkeiten“ in ihrer ungezügelten Vitalität an die unprüden Spiele Kurt Tucholskys denken. Man unterschätze aber nicht den profunden Ernst etlicher der Mohrschen Wortspiele! Den „Ohrgasmus“ vollziehen wir beim „Bolero“ „erfräulich“ rasch, vielleicht sogar mehrfach, den „Jenachdemikern“, der „Nazion“ und der „Offizierde“ müssen wir uns aber mit Bedacht nähern, denn sie möchten erst kognitiv erobert werden.
„Reden Sie ruhig weiter bis Ihnen was einfällt!“ Ist die erste und fast noch harmloseste von Mohrs 69 Bosheiten, die sich vorzüglich für die Abwehr täglicher Angriffe eignen. Mohrs Bosheiten sind böse, entwaffnen aber durch kreative Eleganz. Sie treffen entweder direkt, wenn er beispielsweise über einen Vortragenden sagt, er „falle unter das Betäubungsmittelgesetz“, oder sie wirken mit Zeitzünder, wenn er scheinheilig schmeichelt: „Sie sind so ganz anders – als Ihre guten Zeugnisse erwarten lassen“.
Wenn wir mit dem Kopf verarbeiten, was uns auf den Magen schlägt, spricht man in der Psychoanalyse von Sublimierung. Rolf Mohr hat sich dafür den weit besseren Begriff „Epi-Sodbrennen“ einfallen lassen: der beflügelnde Geist bringt uns über (gr. epi) das hinaus, was uns ärgert, vergrätzt und verätzt. Bei der Verabschiedung eines nicht besonders geschätzten Vorgesetzten sagt er – die Unschuld in Person! – „Herr Dr. S., Sie haben uns so viel gegeben! Wären Sie so gütig, das alles wieder zurückzunehmen?“
„Mein Liebchen, was willst du mehr?“ liest man ohne Arg in Heinrich Heines „Buch der Lieder“ und ahnt nicht, dass ein einziges, klitzekleines Komma nach dem Wörtchen „was“ die unschuldige Zeile sinnlich entgleisen lässt. Rolf Mohr weiß, welche gewaltigen Folgen kleinste Veränderungen haben können. Satzzeichen und sogar Buchstaben werden bei ihm zu Trägern von überraschendem Sinn und ungewohnter Bedeutung. Für den Single schlägt er den hermeneutischen Terminus „Beziehungswaise“ vor und worum es bei einem Auslandsaufenthalt in der Hauptsache ging, verrät uns ein regelwidrig gewachsener Buchstabe in „AuslandSaufenthalt“. Bei den Maximen, die uns den Weg weisen, die mithin Von Wegen handeln, warnt ein Ausrufezeichen vor übertriebenen Erwartungen: „Von wegen!“
Es lohnt, sich beim Lesen dieses Büchleins Muße zu gönnen. Der Kern aller „Hinterschaffenslasten“ will oft erst enttarnt werden. Dass ein Satz wie „Goldene Regeln sind grau“ einen solchen Kern hat, ahnt man. Dass dieser Kern ein Kern des faustischen Pudels ist, enthüllt sich etwas später und man freut sich doppelt über die provokante Kontamination von Goethes „Grau ist alle Theorie / Grün des Lebens goldner Baum“. Im Beispiel „Coaching ist immer auch co-aching“ indizieren die englisch gesprochenen Laute, was den Gecoachten und den Coach leiden lässt: Veränderungen tun weh, denn wir müssen erst noch werden, wer wir sind.
„Mohr and more“ ist ein Stöberbuch und eine pfundige Fundgrube für Nachdenklichkeiten. Hätte ich diese „Pfundgrube“ doch nur eher gekannt! Etliche Bonmots und Aperçus hätte ich in meine Arbeit einfließen lassen und sogar etwas Passendes für meine therapeutischen Weihnachtswünsche gefunden: „Merry crisis and a happy new fear!“ Suchen Sie nach einem Namen für ein neues Kabarett? In der Mohrschen „Brauch-Bar“ finden Sie die „Fleddermäuse“. Eine Sammlung boshafter Sentenzen könnte man „MitGift“ nennen und „Schwörter“ wäre ein guter Name für gesammelte Gehässigkeiten. Wer einen Krimi schreiben möchte, hätte mit „Nicht zu fassen!“ einen packenden Titel. Wenn Frauen anderen Frauen zum Erfolg verhelfen, sollten sie ihr Programm auf den Namen „Siefolg“ taufen. Doch hält unsere Sprache nicht jeden Unfug aus und Mohr distanziert sich mit dergleichen Provokationen von der Gewalt, welche Gutmenschen und Gewaltgegner der Sprache antun. Rolf Mohr hat eine ganze Menge zu sagen. Etwas zu sagen haben nennt er ein Trainingsseminar für Führungskräfte, das er denen empfiehlt, „die etwas zu sagen haben, häufig aber nichts zu sagen haben“.
Wortspiele, Humor, Episodisches, Bosheiten, Maximen, die Pfundgrube – an den Mohrschen „Hinterschaffenslasten“ gefallen alle Varianten seiner großen literarischen Kleinkunst. Meine Favoriten sind aber die aphoristischen Verdichtungen, deren Reife und Eleganz nicht leicht zu überbieten sein dürften. Unter ihnen finde ich einen Aphorismus, um den ihn sogar ein Meister wie Georg Christoph Lichtenberg beneidet hätte.
„Wissenschaft bewahrt uns vor Ideologie,
Technik vor Magie, Religion vor uns selbst.“
Ich bin glücklich darüber, dass ich Rolf Mohrs „Hinterschaffenslasten“ den Weg in die Öffentlichkeit ebnen durfte. Und Sie, lieber Leser, Sie dürfen stolz darauf sein, die erste Ausgabe eines Schatzes in Händen zu haben, dessen dezenter Glanz Sie stets und immer aufs Neue beglücken wird. Genießen Sie Rolf Mohrs souveränen Esprit! Erbauen Sie sich an seinem Tiefsinn! Goutieren Sie seinen Witz! Freuen Sie sich auf Rolf Mohrs weitere Werke! Seine literarische Schuldigkeit hat der Mohr noch lange nicht getan!
Professor Dr. mult. Kurt Guss
- Veröffentlicht am Freitag 20. April 2018 von Verlag der Ostwestfalen-Akademie
- ISBN: 9783947435166
- 124 Seiten
- Genre: Belletristik, Erzählende Literatur