Nachlass

von ,

Nachlass. Das kann alles mögliche sein. Geld, Häuser, Grundbesitz, Wertgegenstände, Schulden. Kann man annehmen oder ablehnen. Aber dann ist da noch die Geschichte. Und die Zeit, die vergangen ist und die man verbracht hat mit Menschen, die dazu gehörten, ob man wollte oder nicht. Kann man auch annehmen oder ablehnen – aber nicht loswerden. Eltern, Großeltern, Onkels und Tanten, Cousins und Cousinen, Freunde und Bekannte. Einfach da. Mit ihren Biographien, ihren Eigenschaften, ihren Brüchen. Zwei Generationen rückwärts, dann wird das Bild unscharf oder dunkel, wenn man nicht gerade Ahnenforscher ist. Diese zwei Generationen aber hinterlassen prägende Spuren. Diese Spuren hat Kai-Olaf Hesse zum Thema seines Buches gemacht, und er konnte das tun mit Fotografien, weil das kleine Zeitfenster, auf das er zurückschaut, geprägt war von privaten Aufnahmen, die einfach nur zeigen, wer wann und wo mit wem was zusammen gemacht hat. 1925 – 1985 so ungefähr. In Deutschland die Zeit nach dem ersten Weltkrieg, Weimarer Republik, Drittes Reich, 2. Weltkrieg, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder, bescheidener Wohlstand, Ankommen in der Moderne. Mitten hinein geboren der Erzähler – ICH – der in Bildern zurückblickt auf das, was vor ihm war und das, was er selbst aus anderer Perspektive gesehen, erlebt und verinnerlicht hat. Nicht chronologisch, sondern intuitiv arrangiert, so wie die Bilder und Koordinaten eines Lebens ungeordnet und gleichzeitig auf dem Radar aufleuchten. Dass dieser winzige Ausschnitt aus Zeit und Gesellschaft so nahe geht, verdanken wir den wirklich guten Fotos, die Kai-Olaf Hesse in den Familienalben vorgefunden hat und mehr noch der emotionalen Offenheit, mit der er sie uns präsentiert. ›Nachlass‹ ist ein bewegendes Buch geworden.